Kulturraum NRW


Videonale.15 – Videokunstfestival im Kunstmuseum Bonn

Der Ruf der Wildnis

Die 15. Auflage des Festivals für zeitgenössische Videokunst in Bonn zeigt noch bis 19. April 2015 insgesamt 38 Bewegtbildarbeiten unter dem Label „The Call of the Wild“. Der Preis der Videonale.15 geht an Shelly Nadashi.

Videonale.15 – The Call of the Wild. Ausstellungsansicht. Foto: jvfVideonale.15 – The Call of the Wild. Ausstellungsansicht. Foto: jvf.

Seit 1984 gibt es die Videonale in Bonn, seit 2005 bespielt das internationale Videokunstfestival alle zwei Jahre die Räumlichkeiten des dortigen Kunstmuseums. In dieser Runde war die Ausschreibung erstmals an eine thematische Vorgabe gebunden: „The Call of the Wild“ – Der Ruf der Wildnis. Die Vorgabe sollte allerdings recht weit ausgelegt werden können, aufgerufen wurde zur Einsendung von Videoarbeiten, „die sich mit dem Topos des Wilden im Sinne eines Möglichkeitsraumes für ein neues Denken, Sehen und Wahrnehmen beschäftigen“.

Aus den mehr als 1.200 Einreichungen hat eine achtköpfige Jury 38 Arbeiten ausgewählt. Das kürzeste Video ist 2:34 min. lang, das längste immerhin 80 Minuten. Will man alles vollständig ansehen, braucht es mehr als 13½ Stunden – wenn ich mich nicht verrechnet habe.

Mit dabei sind etablierte Videokünstler wie Shaun Gladwell, der 2009 den australischen Pavillon auf der Biennale in Venedig eingerichtet hat, die Londoner Otolith Group (Anjalika Sagar und Kodwo Eshun), 2010 auf der Shortlist des Turner Prize, oder das in Berlin arbeitende schweiz-deutsche Duo Pauline Boudry & Renate Lorenz.

Den mit 5.000 Euro dotierten Preis der 15. Videonale sammelt allerdings Shelly Nadashi ein. Die 1981 in Haifa geborene und heute in Paris lebende Künstlerin inszeniert mit A Hidden Quiet Pocket (2014, 19:25 min.) eine sehr intensive und zunehmend aggressive Massagesession, einen „Immobilienporno“, in dem Kundin und Masseurin den Preis und Wert einer Wohnung ausagieren, so in etwa.

Tiere gehen immer

Jenny Brady, Wow and Flutter, © Jenny BradyJenny Brady, Wow and Flutter, © Jenny Brady.Auffällig viele Filme mit Tieren hat die Jury ausgewählt. Der wohl eindrucksvollste ist MSR (2014, 15:00 min.) des belgischen Videomachers Wim Catrysse (*1973), der in langen Einstellungen ein Rudel wilder Hunde an der Main Supply Route durch die Wüste von Kuwait zeigt. Der polnische Kollege Wojtek Doroszuk (*1980) lässt in Festin (2013, 20:00 min.) zunächst diverse Insekten, dann Hunde eine Festtafel plündern, Jenny Brady aus Irland (*1983) lässt in Wow and Flutter (2013, 13:03 min.) einen irgendwie melancholischen Kakadu über Sprache und Kommunikation referieren.

Kerstin Honeit aus Berlin (*1977) zeigt derweil Wildschweine (Pigs in Progress, 2013, 12:17 min.) und Rachel Mayeri (*1969) aus den USA lässt Schimpansen eine Seifenopernfolge mit als Schimpansen verkleideten Schauspielern ansehen: Primate Cinema: Apes as Family (2012, 11:28 min.). Neozoon, ein Kollektiv aus Berlin und Paris, konfrontiert schließlich zwei Montagen von Youtube-Stücken, in denen Mädchen mit ihren Schmusehaustieren posieren und Freizeitjäger ihren Blattschuss inszenieren (My BBY 8L3W, 2014, 3:00 min. / Buck Fever, 2012, 6:00 min.).

Möglichkeitsräume

Vika Kirchenbauer, Please Relax Now, © Vika KirchenbauerVika Kirchenbauer, Please Relax Now, © Vika Kirchenbauer.Für Vika Kirchenbauers (*1983) Please Relax Now (2014, 12:00 min.) ist ein Séparée als Schmuddelkino eingerichtet. Kirchenbauer („You can call me Viki“) adressiert ihr Publikum als androgyne Schönheit und animiert zur Masturbation, das sei schon ok, schließlich Teil einer Kunstaktion und es sei sicher gestellt, dass kein Aufsichtspersonal den Raum betreten werde. Das Bonner Publikum zeigt sich allerdings eher unwillig, an der performativen Erweiterung des Videos aktiv teil zu haben.

Koen Theys aus Brüssel (*1963) packt unterdessen in Death Fucking Metal (2014, 80:00 min.) eine sedierte Metaller-Combo auf eine Drehbühne und zeigt, wie die Musiker sich in Minutenabständen nur kurz für jeweils einen Akkord, einen Drumbeat oder eine Zeile eines Songs beleben, bevor sie in Lethargie zurück verfallen.

Sehr skurril und sehr spaßig ist Erkka Nissinens (*1975) Polis X (2012, 15:30 min.), eine absurde Revue menschlicher Abgründe in surrealer Stadtlandschaft. Gleich daneben hat der französische Filmemacher François Nouguiès (*1969) Paare zu einem zwölfstündigen Freestyle-Tanzmarathon zur Feier des Journée européenne du patrimoine eingeladen: The Japanese Sandman, 2014, 51:02 min.

Hände, Ohren und der Klee-Effekt

Für den Publikumspreis, der mit 3.000 Euro dotiert am Ende der Videonale ausgezählt wird, und für den noch bis 18. April vorort abgestimmt werden kann, lege ich aber zwei andere Arbeiten ans Herz:

Alan Phelan aus Irland (*1968) nimmt in Edwart & Arlette (2024, 14:52 min.) Motive aus Arthur Conan Doyles Sherlock-Holmes-Story „The Adventure of a Cardboard Box“ auf und macht daraus ein sehr komplexes Beziehungs-Kammerspiel, das von der Sprache der Hände und der Brutalität von Machtkämpfen in Beziehungskisten erzählt und zugleich lehrt, dass das Abschneiden von Ohren auch nicht wirklich weiterhilft. Alan Phelan hat das Video ins Netz gestellt: Edwart & Arlette, 2014.

Vor allem aber empfehle ich den sehr poetischen Kurzfilm der polnischen Künstlerin Karolina Bregula (*1979): Obraza (The Offence) (2013, 20:30 min.). In einer Plattenbausiedlung in Budapest wird die Lethargie der Bürger vom „Klee-Effekt“ erschüttert, Menschen wachsen des Nachts kleine grüne Wucherungen am Körper, auf denen Kleeblätter sprießen. Manche Bürger kultivieren den Klee, die örtliche Obrigkeit verbietet diese Unbotmäßigkeit und droht mit harten Strafen.

Publkumspreis: Nachtrag 19. April 2015

Meine Empfehlungen waren wie üblich fruchtlos. Nach Angaben der Veranstalter hat das Publikum mit deutlichem Abstand für Énergie Sombre votiert (2012, 15:00 min.). Das Video der beiden Künstler aus Nizza, Florian Pugnaire (*1980) und David Raffini (*1982), zeigt in sehr hübschen Bildern die Selbstzerstörung, vielleicht auch die Selbstermächtigung – wer weiß das schon, eines gelben VW-Bus in einer etwas rätselhaften, möglicherweise durch fremde Mächte kontrollierten Welt. Kann man machen.

Jenseits des Wettbewerbs

Jenseits der Wettbewerbsausstellung zeigt die Videonale aus Anlass ihres dreißigjährigen Bestehens ausgewählte Arbeiten aus früheren Festivalrunden in einem kleinen Raum des Kunstmuseums. Neben Retrospektiven auf die Werke von Isaac Julien und Lawrence Weiner sind zudem eine Reihe weiterer Screenings, Podiumsdiskussionen, Vorlesungen geplant. An insgesamt neun Orten der Stadt werden außerdem im Rahmen des „Videonale.Parcours“ bis 22. März 2015 Arbeiten von Studenten der Kunsthochschulen in Köln, Stuttgart und Saarbrücken gezeigt.

Der Katalog der Videonale.15 widmet jedem Beitrag der Wettbewerbsausstellung eine Doppelseite und enthält zwei, in Teilen allerdings etwas verschwurbelte Essays. Wichtiger ist ohnehin eine Doppel-DVD, die im Bündel mit dem Katalog für 29,90€ zu haben ist und 25 der 38 ausgestellten Videoarbeiten zum Nachgucken bereit stellt.

Videonale.15 – The Call of the Wild. Festival für zeitgenössische Videokunst. KL: Tasja Langenbach. Bonn, Kunstmuseum, 27. Februar – 19. April 2015.