Kulturraum NRW


Uraufführung der Melancholia an der Opéra Garnier

Lars, der Spinner, ist verliebt

An der Pariser Opéra Garnier inszeniert Stanislas Nordey die ebenso kurzweilige wie berührende Oper Melancholia des zeitgenössischen österreichischen Komponisten Georg Friedrich Haas nach einem Libretto von Jon Fosse.

Der norwegische Jungmaler Lars Hertervig hält sich im Spätherbst 1853 in Düsseldorf auf, um an der Kunstakademie zu studieren. Ein einfaches Zimmer hat er sich genommen im Haus der Witwe Winckelmann. In deren Tochter wiederum, die gerade fünfzehn Jahre alte Helene, verliebt sich Hertervig so sehr, so ungeheuerlich, dass er den Verstand verliert. Oder diese Liebe ist bereits Symptom dessen, was seinerzeit als Melancholie diagnostiziert wird, heute als Depression zur medikamentös behandelbaren Krankheit erklärt werden würde? Jedenfalls, als seine Liebe ruchbar wird, schmeißt ihn der Onkel Helenes aus dem Haus und sorgt für die Abschiebung des verschlossenen Sonderlings in dessen Heimat.

Das ist die Geschichte, mit der der norwegische Schriftsteller Jon Fosse Mitte der neunziger Jahre seinen Roman Melancholia über die Lebensgeschichte des romantischen Landschaftsmalers Hertervig (1830-1902) beginnen ließ und die er jetzt zu einem operntauglichen Textbuch destilliert hat. Im Roman ist es wesentlich ein innerer Monolog (vielstimmig gleichwohl – der Maler beginnt Stimmen zu hören), mit an Thomas Bernhard geschultem, manisch kreisendem Rhythmus, der die Eskalation vom grüblerischen, an seiner Kunst zweifelnden Nachwuchsgenie, über den handlungsunfähigen, melancholischen Verliebten, bis hin zum wohl schlicht Wahnsinnigen nachvollziehbar macht. Folgerichtig ist es eine Binnenperspektive, die da auf die Bühne kommt: die Welt, wie sie Hertervigs leidender Geist entwirft.

Der Chor der inneren Stimmen hat das letzte Wort

Emmanuel Clolus‘ Bühnenbild ist im wesentlichen ein schmutzig-schwarzer Kasten, der Farbe der Melancholie entsprechend – die „schwarze Galle“ ist nach Meinung der Alten die Ursache dieses Geisteszustandes. Darüber hängt ein Segel, eine Riesenleinwand, weiß, die Angst des Malers vor der leeren Leinwand vielleicht vor Augen stellend. Sicher aber ist, dass es schwarze und weiße, Hertervig umflatternde und verfolgende Tücher sind, die zu seinen wahnhaften Halluzinationen gehören.

Weiß gekleidet ist auch dieser Maler im Bühnenvordergrund und, zu Beginn des Stücks, auch seine Helene, die sich unendlich langsam auf ihn zu bewegt: Der Gegenpol zum schwarzgewandeten Chor der marternden inneren Stimmen („Lars, der Spinner, kann nicht malen“). Das mit Helene währt aber nicht lang (wenn es überhaupt je real gewesen ist), am Ende wird auch ihr ein schwarzer Umhang übergeworfen. Und Lars muss in Richtung des nunmehr geöffneten nackten Bühnenhintergrundes gehen, isoliert und verloren, seine Koffer in der Hand, auf dem Weg zurück in die Heimat, die letztlich nur das Irrenhaus für ihn bereit hält. Der Chor behält das letzte Wort.

Georg Friedrich Haas schreibt Musik, die Sachverständige mikrotonal nennen, zwölf Töne sind ihm nicht genug, Halb- und Vierteltöne treten hinzu und erweitern das Klangspektrum. Ich würde mir sowas nicht zu Feierabend im Radio anhören, aber in diesem Stück macht das Sinn. Zumal, das Tonmaterial ist hier alles andere als Selbstzweck und greift Musiktraditionen verfremdend auf, auch dem ungeübten Ohr Halt gebend. Vor allem die Musik der Schlussszene ist von einer percussion-getriebenen, eindringlich unsentimentalen Emotionalität (wenn es sowas gibt). Und mich hat das schlicht begeistert.

Die Oper ist noch bis Ende Juni in der Opéra Garnier zu sehen, im Herbst dann in Stavanger, Oslo und an der Oper Graz im Rahmen des „Steierischen Herbst“. Die Rheinprovinz wird also großräumig umgangen, was sehr schade ist: in der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf wäre sie ja stofflich gut aufgehoben – und man hätte dann da mal eine ernst zu nehmende zeitgenössische Oper.

Georg Friedrich Haas: Melancholia. Oper in drei Teilen. Lib: Jon Fosse. R: Stanislas Nordey. D: Otto Katzameier, Melanie Walz. Klangforum Wien u. Vokalensemble Nova, Ltg.: Emilio Pomarico. Opéra Garnier, Paris. UA: 9.6.2008. 90 min.