Kulturraum NRW


Traces du sacré: Ausstellung im Pariser Centre Pompidou

Gott ist untot

Das Centre Pompidou in Paris zeigt noch bis Mitte August eine Ausstellung auf den Spuren des Heiligen in der modernen Kunst. Die rund 350 Exponate, die im Herbst auch im Münchener Haus der Kunst zu sehen sein werden, dokumentieren den vielfältigen Bezug der Moderne zu religiösen Traditionen und den letzten Fragen.

Irgendwann zwischen 1796 und 1882 muss die Geburtsstunde der modernen Kunst gewesen sein, glaubt man den Ausstellungsmachern. 1796 veröffentlicht der Schriftsteller Jean Paul Richter seine „Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab“ – eine Albtraumerzählung. Christus bringt zu mitternächtlicher Stunde auf einem Friedhof den Toten schlechte Nachricht: „es ist kein Gott“. Zu dieser Zeit ist das noch ein böser Traum, aus dem Jean Paul seinen Erzähler schaudernd erwachen lässt, denn

Niemand ist im All so sehr allein als ein Gottesleugner – er trauert mit einem verwaiseten Herzen, das den größten Vater verloren […].

Auslöser dieses Albtraumgespinnstes war die einige Jahre zuvor erschienene Kritik der reinen Vernunft des Königsberger Philosophen Immanuel Kant, darin die Möglichkeit metaphysischer Erkenntnis, also auch der Gotteserkenntnis, im Geiste der Aufklärung einer fundamentalen („alleszermalmenden“) Kritik unterzogen wurde. Ein knappes Jahrhundert später ist dann der böse Traum bereits Realität geworden und Kants Kollege Friedrich Nietzsche diagnostiziert in seinen Gedanken zu einer Fröhlichen Wissenschaft:

„Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder?“

Heute wissen wir, dass Gott albtraumhaft immer wieder aus seinem Grab steigt und als Untoter diesem oder jenem Verbrecher oder Heiligen als Grund seines Handelns dienstbar ist. Und wir wissen, dass die Mörder bis heute nicht wirklich Trost gefunden haben. Und wir wissen, dass mit dem Tod Gottes die Fragen, auf die man sich vom ihm Antworten versprach, alles andere als verschwunden oder gar beantwortet sind. Das sind Fragen nach Leben und Tod, dem Guten und Bösen, der Zeit, der Unendlichkeit.

In vierundzwanzig Abteilungen, von den „Spuren der verschwundenen Götter“ bis hin zum „Schatten Gottes“, wird in der Pariser Ausstellung eine Kunst vor Augen gestellt, die unter den Bedingungen einer entzauberten oder aufgeklärten, jedenfalls gottlosen Welt, sich auseinandersetzt mit religiösen Bildtraditionen einerseits, und mit diesen übrig gebliebenen, letzten Fragen andererseits.

Dem Religiösen weniger aufgeschlossene Gemüter können das aber auch drei Etagen tiefer hängen und diese Kunstschau als außerordentliche Zusammenstellung von hochkarätigen Einzelexponaten sehen, die unter Prinzipien einer fallweisen Motivähnlichkeit zusammen getragen sind – was aber nicht weiter stören muss.

Das Böse, der Kosmos und die Sintflut

Das Prunkstück der Ausstellung – und jede Reise wert – ist Kandinskys Komposition Nr. VI (1913), die die St. Petersburger Eremitage ausgeliehen hat. Man sagt, das sei eine Darstellung der Sintflut. Nun gut, an den Rändern des monumentalen, drei Meter breiten und knapp zwei Meter hohen Gemäldes, mögen Flächen aus dunkel gebrochenen Farben nichts Gutes verheißen und im Zentrum des Bildes einen Strudel auslösen von lichten Farben und rhythmisch verwirbelten, schwarzgezeichneten Formen (anthropomorphe und klangsymbolisierende vor allem). Aber die Sintflut scheint hier eine ebenso gegenwärtige wie tröstliche Angelegenheit zu sein, jedenfalls sehe ich das als eher freundliches und sehr lebendiges Abbild des Lebens, nicht als Bildnis göttlicher Rache am Leben. (Im Web sind sicher illegale Reproduktionen dieses Bildes zu finden, die eine bedenkenlose Suchmaschine erschließen könnte.)

Die klassische Moderne ist mit einer Reihe weiterer Meisterwerke vertreten, von Chagalls anrührender Hommage à Apollinaire (1912) über Emil Noldes Kerzentänzerinnen (1912) bis zum hübschen, aus dem Kölner Museum Ludwig angereisten Werk Max Ernsts: Die Jungfrau züchtigt den Jesusknaben vor drei Zeugen (1926).

Reizvoll ist aber vor allem die Konfrontation von klassischer Moderne und zeitgenössischer Kunst in dieser Ausstellung. So steht gegenüber Kandinskys Komposition der gläserne Kubus von Anish Kapoor, mit dem neckisch-großspurigen Titel Proposal for a New Model of the Universe, 2006. Diese eineinhalb Kubikmeter messende Skulptur des Kosmos umfasst einen muschelartigen Einschluss, der explosionsartig Welten in Form kleiner Blasen auszuspucken scheint, eine Kosmogonie, geronnen zum überdimensionalen Schmuckstück.

Weiter, vom Ursprung der Welten zum gottlosen 20. Jahrhundert, ein Jahrhundert, das an der Existenz des Teufels oder zumindest des Bösen keinen Zweifel lässt. Der Frage nach diesem Bösen nimmt sich Maurizio Cattelan an (Him, 2001): Ein leerer Raum, graue Wände, hinten kniet eine knabenhafte Figur, das Gesicht zur rückwärtigen Wand, im Sonntagsstaat, ein grauer Anzug, sorgsam geputzte schwarze Schuhe, das schwarze Haar ist ordentlich gescheitelt. Erst wenn man zu dieser Figur hingeht, ist zu erkennen, dass das kein Knabe ist, sondern eine Wachsfigur Adolf Hitlers, in betender Haltung, ein Ausdruck im Gesicht, der vielleicht von gläubiger Hingabe, vielleicht von tödlichem Hass zeugt, wahrscheinlich aber ein Ausdruck, in dem sich beides trifft. Man kann diese Installation als sinnvolles Gegenstück zur touristisch wirksamen Hitlerwachsfigur im gerade eröffneten Tussauds-Kabinett in Berlin nehmen (sei sie gerade kopflos oder auch nicht).

Die Spuren des Heiligen sind noch bis August im Centre Pompidou zu suchen und werden dann von September 2008 bis Januar 2009 im Münchener Haus der Kunst zu sehen sein. Dort aber unter dem Titel „Spuren des Geistigen in der Kunst des 20. Jahrhunderts“, der Kandinsky und seiner einflussreichen Schrift über das Geistige in der Kunst Ehre erweisen soll. Der französische Katalog ist für schlappe 50 Euro zu haben, aber sehr schön gestaltet und enthält eine Reihe interessanter Essays, könnte aber etwas großformatigere Reproduktionen vertragen.

Traces du sacré. Spuren des Geistigen in der Kunst des 20. Jahrhunderts. K: Alfred Pacquement, Angela Lampe, Chris Dercon. Centre Pompidou, Paris, 7.5.-11.8.2008; Haus der Kunst, München, 19.9.2008-11.1.2009.