Kulturraum NRW


Klimt und die Kunstschau 1908 im Wiener Belvedere

Die schöne Danae und Nippesgedöns

Das Untere Belvedere in Wien zeigt noch bis Mitte Januar 2009 die Ausstellung 'Gustav Klimt und die Kunstschau 1908'. Die damalige Leistungsschau der Wiener Moderne wird darin anhand von Fotographien, Modellen und Entwürfen umfassend dokumentiert und das Gros der seinerzeit ausgestellten Exponante in teils rekonstruierten Räumlichkeiten der Originalausstellung anschaulich gemacht.

Die muss sehr eindrucksvoll gewesen sein, diese „Kräfterevue österreichischen Kunststrebens“, wie Klimt sie nannte. Im Sommer 1908 konnte die Künstlergruppe um Gustav Klimt unweit des Wiener Schwarzenbergplatzes ein halbes Jahr lang ihr ästhetisches Konzept von einer Durchdringung des Lebens durch die Kunst inszenieren. Ein Gesamtkunstwerk, „Lebenskunst“, die als Parallelaktion zu den Feierlichkeiten zum sechzigsten Thronjubiläum von Kaiser Franz Joseph I., die alte Ordnung auf dem Feld der Kunst zugleich herausforderte. Als Motto über der Eingangshalle zum Ausstellungskomplex stand ein Zitat von Thomas Carlyle:

Der Untergang des Alten ist verkündet und ist unwiderruflich. Das Alte ist dahingegangen. – Aber ach, das Neue erscheint noch in den Geburtswehen um das Neue.

[Das ist übrigens reichlich verschwurbelt übersetzt. Bei Carlyle ist es die Zeit, die mit dem Neuen noch in den Wehen liegt, nicht das Neue selbst – das macht ja auch anders gar keinen Sinn: The doom of the Old has long been pronounced, and irrevocable; the Old has passed away: but, alas, the New appears not in its stead; the Time is still in pangs of travail with the New.]

Die Dissidenten der Secession

Drei Jahre zuvor war Klimt und sein Kreis aus der Wiener Secession ausgetreten: Es hatte Streit um ästhetische und kommerzielle Ausrichtung der Künstlervereinigung gegeben. Nachdem nun diese Dissidenten der Secession in den Folgejahren keine Möglichkeit für eine umfassende Gruppenausstellung gefunden hatten, bot das Kaiserjubiläum Abhilfe, öffentliche Gelder flossen, ein Baugrund stand bereit.

Auf dem rund 6.500qm großen Gelände neben dem Eislaufverein wurde einige Jahre später das Akademietheater und das Konzerthaus gebaut. Jetzt erstmal aber ließ der Architekt Josef Hoffmann in wenigen Wochen ein System von Ausstellungsgebäuden aus Holz errichten, das selbst Kunstrang beanspruchte. Das einstöckige Geflecht aus Galerien, Ausstellungssälen, Kabinetten, Höfen und Gärten integrierte über eintausend Exponate von knapp 180 Künstlern. Ziel war es, im Sinne des Gesamtkunstwerks, alle Lebens- und Kunstbereiche zu umfassen und zusammen zu führen: von der Kunst des Kindes bis zu einer kleinen, von Karl Bräuer entworfenen, Friedhofsanlage, von der Architektur über Bildhauerei, Malerei, Graphik bis zum Kunstgewerbe der Wiener Werkstätte und weiter zu einem Musikzimmer und einem Freilufttheater. In letzterem wird u.a. Kokoschkas Skandalstück „Mörder, Hoffnung der Frauen“ uraufgeführt.

Ökonomisch war die Kunstschau nicht gerade erfolgreich: knapp 40.000 Besucher reichten nicht zur Refinanzierung, die Abschlussrechnung wies einen Fehlbetrag von 76.000 Kronen aus und der Verkauf der ausgestellten Werke war eher schleppend. Zumindest was die Besucherzahlen angeht, wird die Jubiläumsausstellung sicher erfolgreicher sein.

Klimts Kirche der Modernen Kunst

Höhepunkt jener Kunstschau wie dieser Jubiläumsausstellung war und ist ohne Zweifel der Gustav Klimt Saal, die „Gustav Klimt Kirche der Modernen Kunst“ hat der Wiener Kaffeehausliterat Peter Altenberg den seinerzeit genannt – und damals lag dieser Saal zwischen einem Raum mit sakraler Kunst auf der einen und der oben aufgezählten Friedhofsanlage auf der anderen Seite. Ein siebzehn Meter langer, fast sieben Meter breiter und knapp viereinhalb Meter hoher Saal, dezente Ornamente an den weißen Wänden – das hat etwas protestantisch Sachliches als Folie für das Barocke von Klimts Malerei der goldenen Periode. Das Belvedere hat den Raum rekonstruiert und das Fehlen jener Bilder, die nicht für die Ausstellung geliehen werden konnten, durch Schwarzweißreproduktionen markiert. An den Stirnseiten hängen sich die formatgleichen Das Liebespaar (Der Kuss) und Die Drei Lebensalter gegenüber, seitlich abwechselnd Blumenlandschaften und die großen Frauenportraits, darunter das majestätische Portrait der Fritza Riedler. Diese sakrale Inszenierung der Kunst würde meinem alten Dorfpfarrer nicht wirklich gefallen, schon gar nicht die schöne Danae im Moment der Schwängerung durch den Goldregen des Zeus – und ich bin mir nicht sicher, ob mein Wohlgefallen an dieser Danae gänzlich interesselos ist.

Was an Malerei ansonsten im Belvedere zusammen getragen ist, hält den Vergleich damit nicht aus, ausgenommen Adolf Hölzels Anbetung der Engel in Grün: eine weit in die Abstraktion getriebene Marienhuldigung, deren kontrastierend gegeneinander gesetzte Farbflächen eine sehr mächtige Wirkung von Dynamik und zugleich von großer Seelenruhe macht. Für meine areligiöse Seele gibt es dagegen Labsal im graphischen Kabinett vor den sehr hübschen Aquarell-Halbakten von Kokoschka und vor den Farbholzschnitten von Carl Anton Reichel.

Reklame und Nippes

Ein weiterer Raum, der im Belvedere rekonstruiert ist: der seinerzeit von Berthold Löffler gestaltete Raum für Plakatkunst, in dem sämtliche Wandflächen deckenhoch mit Reklamearbeiten beklebt sind, vornehmlich Löfflers eigene Werke und die seiner Schüler aus der Kunstgewerbeschule. Mit „Heiterkeit und Phantasie“ sollte diese Collage „dem Auge des Eintretenden“ entgegen kommen, das funktioniert noch heute.

Ansonsten: Viel Nippesgedöns aus der Wiener Werkstätte, das sicher seine Liebhaber unter den Ausstellungsbesuchern findet, Monumentalplastiken von Franz Metzner, die ich sehr unangenehm heroisch-pathetisch finde, spannende Bühnen- und Kostümentwürfe von Czeschka, Roller und Orlik im teilweise rekonstruierten Raum der Theaterkunst. Viel dekorative Gebrauchskunst. Der hübsche, rekonstruierte Raum mit der „Kunst für das Kind“. Für jeden etwas also.

Der Katalog zur Ausstellung ist im Prestel Verlag erschienen und ist 560 Seiten und dreieinhalb Kilogramm schwer. Die Herausgeber sprechen selbstbewusst davon, er könne „die Qualität eines neuen Standard-Nachschlagewerks der Wiener Kunst um 1900 beanspruchen“ – mag sein. Die Sachinformationen jedenfalls sind umfassend, die Reproduktionen sind ausgezeichnet und das Ding ist seine 38 Euro (Museumsausgabe) mehr als wert. Ich könnte den Katalog uneingeschränkt empfehlen, wenn nur auch der Ausstellungsplan von 1908 wiedergegeben wäre. Immerhin ist der Katalog nach den damaligen Räumlichkeiten strukturiert und im Text wird gefühlte einhundert Mal auf diesen Plan verwiesen, ohne ihn selbst wiederzugeben. Dafür muss man sich den Reprint des Katalogs von 1908 besorgen (9,90€), hätte ich ja auch gemacht, wenn mir’s nur jemand gesagt hätte.

Gustav Klimt und die Kunstschau 1908. Unteres Belvedere, Wien. 01.10.2008-18.01.2009. K: Alfred Weidinger.