Kulturraum NRW


Gerhard Weber inszeniert Shakespeares Sturm in Trier

Die Tempestade

Der Trierer Intendant Gerhard Weber bringt in einem sympathischen internationalen Kooperationsprojekt einen dreisprachigen, sehr sinnlichen Sturm auf die Bühne und erkundet die Grenzen einer Utopie der Versöhnung.

Genau vierhundert Jahre ist das jetzt her, dass Shakespeares letztes Stück das erste Mal aufgeführt wurde. Eine abgründige Romanze, eine Parabel auf das Theater, eine Meditation über das Verhältnis von Kunst und Natur, ein grimmig-heiteres Lehrstück über die Schweinereien der Machtpolitik und der kolonialen Ausbeutung, ein resigniertes Divertimento angesichts der moralischen Untiefen von Utopien: Shakespeares Sturm verteilt eine ganz monströse Fülle an Sinnangeboten und Interpretationsmöglichkeiten. Gerhard Webers Inszenierung am Theater Trier kümmert sich um die Sache mit dem Kolonialismus und das Problem der Utopie.

Der Herzog der Bermudas

Prospero, Herzog von Mailand, von seinem eigenem Bruder vor Jahren gestürzt und in die Verbannung getrieben, herrscht mit Zaubermacht, brutalem Regiment und pathetischer Rede von Gerechtigkeit, Bildung, Menschlichkeit über eine kleine Insel, irgendwo in der Karibik, sagen wir, auf den Bermudas (1609, zwei Jahre vor Uraufführung des Sturms waren englische Schiffbrüchige per Zufall auf die Bermudas gestoßen, Shakespeare spielt darauf an).

Die vom französischen Bühnenbildner Jean-Guy Lecat eingerichtete Spielfläche macht aber keinen sehr paradiesischen Eindruck von diesem Inselreich: ein kahler Felsen, darauf ein Lehnstuhl als Thron, einige Folianten liegen anbei, mehr nicht. Die Rückwand des Bühnenraums ist eine Projektionsfläche, auf die bei Bedarf Videosequenzen unwirtlicher Elemente geworfen werden: die stürmische See, Feuer spuckende Vulkanlandschaften, ausgetrocknete, aufgerissene Erdtexturen – und dann, wenn es mal idyllisch wird, auch ein blauweißer Himmel. Naja.

Eins in die Hände gespuckt

Prospero also, dieser Modellfall eines Kolonialisten und aufgeklärten Tyrannen, quält seinen Sklaven Caliban mit der Reitpeitsche und schmiedet einen Plan. Es gilt, den verräterischen Bruder Antonio, dessen Verbündete und Entourage mittels stürmischer See auf dem Eiland festzusetzen, ihnen Mores zu lehren, seine Tochter mit dem Prinzen des Königreichs Neapel zu verheiraten, schließlich das Herzogtum zurück zu erobern. Mit Hilfe des dienstbaren Luftgeistes Ariel gelingt der ehrgeizige Plan, aber erst als Ariel seinen Meister Mitleid lehrt, obsiegt Vernunft über den Zorn Prosperos und Vergebung über die Rache an den Verrätern. Die Utopie einer versöhnten Menschheit (immer unter Ausschluss des Sklavens naturgemäß) wird indes nicht weit tragen: Antonio spuckt in die Hand, die Prospero ihm zur Versöhnung reicht. Am Ende bleibt nichts als die an das Publikum gerichtete Bitte Prosperos um Nachsicht: „So wie ihr auf Gnade für eure Verbrechen hofft, übt Nachsicht mit mir für die meinen“.

Prospero ist eigentlich Portugiese

Der Trierer Sturm ist ein Kooperationsprojekt des Theaters Trier mit dem luxemburgischen Nationaltheater und dem portugiesischen Theater ACTA. Die ACTA (Companhia de Teatro do Algarve) arbeitet nicht ganz unähnlich unserer Landesbühnen, eine Theaterkompagnie, die unterwegs in den ländlichen und kleinstädtischen Gegenden des portugiesischen Südens die kulturelle Grundversorgung sicher stellt. Im letzten Jahr wurde die theaterpädagogische Arbeit der ACTA an Grundschulen mit dem wichtigsten portugiesischen Preis im Bildungssektor (Gulbenkian-Preis) ausgezeichnet.

Die der Kooperation zu Grunde liegende Idee, Shakespeare multilingual auf die Bühne zu bringen, ist nicht ganz neu: Vor mehr als zehn Jahren hat Karin Beier am Kölner Schauspielhaus den Sturm mit Darstellern aus gleich sieben Ländern auf die Bühne gebracht. In Trier nun sprechen die Inselbewohner Portugiesisch, die Schiffbrüchigen Deutsch und wenn Prosperos Tochter Miranda und Neapels Prinz Ferdinand sich nähern, greifen sie auf Shakespeares Englisch zurück (jedenfalls auf den deutschen und portugiesischen Versuch von Shakespeares Englisch) – alles mit deutsch-portugiesischen Obertiteln versehen.

Große Geste und körperliche Präsenz

Diese Mehrsprachigkeit ist nicht nur motivisch durch das Stück gerechtfertigt, Sprachvermittlung als Herrschaftsstrategie ist bei Shakespeare vorbereitet, und sie hat nicht nur für sich, dass die Versöhnungslücke mittels Verständigungslücke handgreiflich wird. Sie hat auch den unschätzbaren Vorteil, dass der Schwerpunkt des Bühnengeschehens von der Sprache hin zur Geste geht und das körperliche Ausagieren der Figurenkonstellationen und Handlungsmomente einen sehr sinnlichen Sturm macht.

Die große Geste und das Ausagieren wiederum gelingt den portugiesischen Theatermachern weitaus besser als ihren deutschen und luxemburgischen Kollegen. Der Leiter der ACTA, Luis Vicente, als Prospero und vor allem Mário Spencer als Caliban machen es mit ihrer großartigen Bühnenpräsenz dem Rest der Darsteller sehr schwer sich zu behaupten.

Die Inszenierung ist im Februar noch in Trier und Luxemburg zu sehen, im Juni dann in Portimão und Faro.

William Shakespeare, Der Sturm / A Tempestade. R: Gerhard Weber. D: Luis Vicente, Mário Spencer, Tânia Silva, Jan Brunhoeber u.a. Theater Trier / ACTA Teatro Algarve / Théâtre National du Luxembourg. P: 12. Februar 2011. 2¼ h m. 1 P.