Kulturraum NRW


Die besten Neben- und Parallelausstellungen – Biennale Venedig 2019

Eine Auswahl

Von AFRICOBRA, Baselitz und Burri über Frankenthaler, Gorky, Jonas und Kounellis bis hin zu Scully, Škarnulytė und Edmund de Waal: Welche Neben- und Parallelausstellungen zur Biennale Venedig 2019 lohnen den Besuch?

Venedig, Vaporetto mit Biennalewerbung. Foto: jvf

Neben der Zentralausstellung und den nationalen Pavillons erheischen zu Zeiten der Venedig­biennale zwei Handvoll Neben­ausstellungen (mit dem offiziellen Stempel der Biennale versehen) und einige Hundert Groß-, Klein- und Kleinst­ausstellungen (nicht offiziell Teil der Biennale­progamms, aber keineswegs zu verachten) die Aufmerksamkeit des Publikums.

In aufgelassenen Kirchen und angemieteten Ladenlokalen, Werkstätten, Lagerhallen und Palazzi, in den großen Museen und Ausstellungs­hallen präsentieren sich Kultur­institutionen, Galerien und einzelne Künstler in der Absicht, ihr Renommee zu verteidigen, den Marktwert zu steigern oder zuallererst entdeckt zu werden.

Wenn man sich nicht mehr als dreivier Wochen Zeit nehmen will, wird sich das niemand vollständig antun wollen. Also: Mit welchen Ausstellungen ist die Zeit gut genutzt? Die in den folgenden Überschriften mit einem Stern gekennzeichneten Ausstellungen sind keine offiziellen Neben­ausstellungen der Biennale.

Baselitz Academy [Dorsoduro, Gallerie dell’Academia]

Baselitz Academy, Ausstellungsplakat auf dem Campo de la Carità. Foto: jvf
Baselitz Academy, Ausstellungsplakat auf dem Campo de la Carità. Foto: jvf.

Es ist die erste Ausstellung von Werken eines lebenden Künstlers in den ehrwürdigen, wenngleich baulich und technisch etwas heruntergekommenen Gallerie dell’Academia [kostenpflichtig, bis 8. September 2019]. Über 40, meist großformatige Gemälde, dazu Zeichnungen und drei große Holzskulpturen von Georg Baselitz (*1938) aus rund 50 Jahren haben die Galerien zusammengetragen – von den frühen „Heldenbildern“ bis hin zu jüngsten Arbeiten (2018).

Das ist nicht so umfassend beschickt wie die Retrospektive in der Fondation Beyeler bei Basel im letzten Jahr, verschafft aber einen tauglichen Überblick über das Werk des Großmeisters der kopfstehenden figurativen Malerei.

Ob der Vorsatz der Akademie-Ausstellung wirklich aufgeht, Einflüsse italienischer Bildtraditionen auf die Arbeiten von Baselitz nachvollziehbar zu machen, lasse ich mal dahin gestellt: Der Künstler war in jungen Jahren als Stipendiat der Villa Romana in Florenz und habe die Kunst der Renaissance­meister intensiv studiert.

Ein anderer deutscher Malerfürst ist unterdessen in der Fondazione Querini Stampalia [Castello] untergekommen: Jörg Immendorff (1945-2007). Die kleine Schau zeigt unter dem Titel Ichich, Ichihr, Ichwir / We All Have to Die [kostenpflichtig, bis 24. November 2019] eine gutes Dutzend Gemälde, die aber auch dokumentieren, dass Immendorffs Kunst deutlich schneller altert als die von Baselitz.

Future Generation Art Prize 2019 [Santa Croce, Palazzo Ca’ Tron]

Toyin Ojih Odutola, The Firm (2017/18). Kohle, Pastell und Bleistift auf Papier. Courtesy of Jack Shainman Gallery. Future Generation Art Prize @ Venice 2019 (11. Mai – 18. August 2019), futuregenerationartprize.org
Toyin Ojih Odutola, The Firm (2017/18). Kohle, Pastell und Bleistift auf Papier. Courtesy of Jack Shainman Gallery. Future Generation Art Prize @ Venice 2019 (11. Mai – 18. August 2019), futuregenerationartprize.org.

Seit 9 Jahren gibt es den „Future Generation Art Prize“ der vom ukrainischen Oligarchen Viktor Pinchuk eingerichteten und nach ihm benannten Kunststiftung. Die diesjährige Shortlist-Ausstellung im Palazzo Palazzo Ca’ Tron versammelt Werke von 21 Nominierten, ausgewählt aus weltweit 5.800 Bewerbungen von Künstlern und Künstlerinnen, die zwischen 18 und 35 Jahre alt sind [freier Eintritt, bis 18. August 2019].

Auffällig ist die Pastellmalerei der nigerianischen Künstlerin Toyin Ojih Odutola (*1985), deren Auftritt auf der letztjährigen Manifesta (12) in Palermo bereits erheblichen Eindruck gemacht hat. In Venedig vor Ort sind Teile einer größeren Serie, die eine fiktive Erzählung über eine aristokratische Familie in Nigeria machen (s.o. The Firm).

Von einiger sympathisch abgründiger Leichtigkeit ist zudem die 3-Kanal-Video­installation des japanischen Filmemachers und Fotografen Yu Araki (*1985), The Last Ball (2019), in der ein Paar selfiestick­bewehrt einen letzten Walzer um ein Streichquartett ausfechtet. Spannend ist Laura Huertas Milláns Dokumentation über die Produktion von „mambe“ auf einer kolumbianischen Coca-Plantage: Jibe (2019).

Den mit ja nicht ganz unwesentlichen 100.000 US-$ dotierten Hauptpreis sammelt aber die litauische Filmemacherin und Videokünstlerin Emilija Škarnulytė (*1987) ein. In Venedig zu sehen ist ihre Video­installation (2019), die eine sehr hübsch rhythmisierte, „posthumane Mythologie in Form einer fiktionalen, visuellen Meditation über zeitgenössische Technologie aus der Perspektive einer zukünftigen Archäologie“ präsentiert (Pressetextlyrik) – ist aber wirklich sehenswert.

In Škarnulytės channel bei vimeo gibt es Ausschnitte aus einigen ihrer Arbeiten ( ist aber nicht dabei).

AFRICOBRA – Nation Time [San Marco, Ca’ Faccanon]

Gerald Williams, Angela Davis, 1971, Acryl auf Leinwand, 122x122 cm, Courtesy of Gerald Williams and Kavi Gupta
Gerald Williams, Angela Davis, 1971, Acryl auf Leinwand, 122x122 cm, Courtesy of Gerald Williams and Kavi Gupta.

In der Ca’ Faccanon, kaum 2 Gehminuten von der Rialto-Brücke entfernt, präsentieren das gemeinnützige Kunstinstitut bardoLA und das Museum für Gegenwartskunst Nord-Miami mit ihrer Ausstellung AFRICOBRA – Nation Time Arbeiten der „African Commune of Bad Relevant Artists“ [freier Eintritt, bis 24. November 2019].

AFRICOBRA ist ein 1968 in der Südstadt von Chicago gegründetes Künstlerkollektiv. Die Mitgliederinnen entwarfen als Avantgarde des Black Arts Movement eine Ästhetik für die Black community in pulsierenden Farben und Farbkombinationen, einer stark rhythmisierten Formensprache, mit typographischen Elementen und ebenso positiven wie ermächtigenden Darstellungen von Afro­amerikanerinnen.

Rund 40 Gemälde, Druckgrafiken, Tapisserien und Textilien mit Schwerpunkt auf den späten 1960er und frühen 1970er Jahre, ergänzt um dokumentarisches Material geben einen sehr spannenden Eindruck von der Arbeit der fünf Gründungsmitglieder – Jeff Donaldson (1932-2004), Jae Jarrell (*1935), Wadsworth Jarrell (*1929), Barbara Jones-Hogu (1938-2017), Gerald Williams (*1941) – und zweier Mitglieder, die 1969 der Gruppe beigetreten sind – Napoleon Jones-Henderson (*1943) und Nelson Stevens (*1938).

Jannis Kounellis [Santa Croce, Fondazione Prada]*

Venedig, Fondazione Prada, Jannis Kounellis. Foto: jvf
Venedig, Fondazione Prada, Jannis Kounellis. Foto: jvf.

Die mit Abstand stärkste Parallel­ausstellung zur Kunstbiennale zeigt in beglückender Fülle und einem sehr wirksamen, ortsspezifischen Arrangement Arbeiten von Jannis Kounellis (1936-2017) [kostenpflichtig, bis 24. November 2019].

Rund 70 Bilder, Objekte und Installationen von 1959 bis 2015 sind auf drei Etagen des barocken Prachtbaus, der Ca’ Corner della Regina, am Canal Grande versammelt. Sie dokumentieren die gesamte Karriere des in Griechenland geborenen und in jungen Jahren nach Rom ausgewanderten, zentralen Künstlers der arte povera – in sehr faszinierendem Widerspruch zum repräsentativen Prunk der Säle des Palazzo.

Mit dabei sind Großinstallationen wie die wohlsortierte und ungeheuer beunruhigende Ansammlung von auf dem venezianischen Steinboden ausgebreitetenden Anzügen, Hüten und Schuhen, Senza titolo (2011), oder die hängenden Kleiderschränke Senza titolo [armadi] (1993–2008) in den Hauptsälen des primo und secondo piano nobile.

Prominente Gäste sind zudem aus NRW vertreten. Aus dem Kölner Kolumba Museum ist eine der wichtigsten Arbeiten von Kounellis vor Ort: Tragedia Civile (1975) mit Kleiderständer, Hut und Mantel vor Blattgoldwand. Aus der Düsseldorfer Kunstsammlung NRW ist die etwas weniger entscheidende Arbeit Senza titolo (1973) mit Holzrahmen, Öllampe, Leinwand und Stoffvorhang angereist.

Uneingeschränkt empfehlenswert.

Arshile Gorky [Santa Croce, Ca’ Pesaro]*

Arshile Gorky, The Liver Is the Cock's Comb, 1944. Foto: jvf
Arshile Gorky, The Liver Is the Cock's Comb, 1944. Foto: jvf.

Die Ca’ Pesaro Galleria Nazionale d’Arte Moderna zeigt eine umfangreiche Retro­spektive auf das Werk eines der wichtigsten Wegbereiter des abstrakten Expressionismus in den USA: Arshile Gorky (um 1904-1948) [kostenpflichtig, bis 22. September 2019].

Nicht weniger als 43 Gemälde, fast ebenso viele Zeichnungen sowie dokumentarisches Material, vornehmlich aus amerikanischen Museen und Sammlungen, sind da zusammengetragen. Sie verschaffen den Überblick über die kurze Karriere des Malers, der als Kind armenischer Eltern vor Verfolgung und Völkermord in die USA flüchten musste.

In fünf Kapiteln sortiert sich die Ausstellung von frühen Arbeiten aus den 1920er Jahren bis hin zu letzten Werken, die Gorky kurz vor seinem Freitod im ländlichen Fairfield County, Connecticut, malte. Dortin hatte er sich nach mehreren Schicksals­schlägen zurückgezogen. Sie lassen nachverfolgen, wie sich Gorky die Bildkunst der europäischen Moderne – Cézanne, Picasso, Kandinsky, Léger und Miró sind seine Leitsterne – angeeignet und für eine eigene, sehr berührende Bildsprache mobilisiert hat.

Arbeiten von Gorky wurden wiederholt in den Ausstellungen der Biennale Venedig präsentiert, am prominentesten auf der 25. Kunstausstellung 1950 als der US-Pavillon in seiner Schau unter dem Titel „Gorky, Pollock, de Kooning“ 12 Werke Gorkys zeigte.

Pittura/Panorama – Helen Frankenthaler [Castello, Palazzo Grimani]*

Pittura / Panorama – Paintings by Helen Frankenthaler, Palazzo Grimani. Foto: jvf
Pittura / Panorama – Paintings by Helen Frankenthaler, Palazzo Grimani. Foto: jvf.

Weit entfernt vom Anspruch, eine Retrospektive auszurichten, stellt das Museo Palazzo Grimani Arbeiten von Helen Frankenthaler (1928–2011) aus. Vierzehn, sehr starke, meist großformatige Leinwände sind das, alle aus der Sammlung der Helen Frankenthaler Foundation [kostenpflichtig, bis 17. November 2019].

Ausstellungen, die ausschließlich aus einer, nachlassverwaltenden Stiftung bestückt sind, muss man ja immer mit Vorsicht nehmen: Oftmals geht es nur darum, eher zweitrangige Arbeiten markttauglich zu machen. Diese Bedenken kann man in diesem Fall vollständig beiseite sortieren: Pittura/Panorama zeigt ganz wunderbare Werke aus den Jahren 1952 bis 1992.

Frankenthaler gehörte zur jüngeren Generation der New York School – eine Generation nach Gorky – und steht für den Aufbruch des abstrakten Expressionismus hin zur Farbfeldmalerei. Allerdings wird man sie auf letztere keinesfalls festlegen wollen, sie gehörte zu den vielseitigsten Künstlerinnen der Schule.

„Ich sehe die meisten meiner Gemälde als Landschaften oder Aussichten, wechselnde Ansichten, eingefangene Bewegung“, so wird sie Mitte der 1960er Jahre zitiert. Und diesen Aspekt, der bewegten Landschaft in abstrakt-koloristischer Prägung, stellt Pittura/Panorama in den Mittelpunkt der Ausstellung.

Auf der Biennale war Frankenthaler zuletzt 1966 im Pavillon der USA vertreten, mit seinerzeit sechs Gemälden in einer Schau zusammen mit Jules Olitski, Roy Lichtenstein und Ellsworth Kelly.

Sean Scully – Human [Abbazia di San Giorgio Maggiore]*

Sean Scully, Opulent Ascension, 2019 (detail). Filz auf Holz, 10.4 x 3.6 x 3.6 m. Installationsansicht: Sean Scully, “HUMAN“, Abbazia di San Giorgio Maggiore, Venedig, 8. Mai – 13. Oktober 2019. © Sean Scully. Courtesy the Artist and KEWENIG, Berlin. Foto: Stefan Josef Müller, Berlin
Sean Scully, Opulent Ascension, 2019 (detail). Filz auf Holz, 10.4 x 3.6 x 3.6 m. Installationsansicht: Sean Scully, “HUMAN“, Abbazia di San Giorgio Maggiore, Venedig, 8. Mai – 13. Oktober 2019. © Sean Scully. Courtesy the Artist and KEWENIG, Berlin. Foto: Stefan Josef Müller, Berlin.

Wenn wir gerade schon die Farbfeldmalerei angerissen haben: In der Kirche und Abtei San Giorgio Maggiore stellt der irische Farbfeldmaler und Bildhauer Sean Scully (*1945) neuere, neueste und ortspezifische Arbeiten aus [freier Eintritt, bis 13. Oktober 2019].

Spektakulär ist die über zehn Meter hohe, begehbare, aus mit leuchtend-farbigem Filz bezogenen Holzschichten gestapelte Skulptur Opulent Ascension (2019) in der Basilika. Sie türmt sich direkt unter der Kuppel, lenkt im Innern den Blick hoch zur Kuppel und soll anspielen auf die Jakobsleiter.

„Die Abstraktion zu humanisieren, von ihrem Podest zu holen“, ins Menschliche zu bringen, und zugleich der Majestät des Kirchengebäudes gerecht zu werden, so beschreibt Sean Scully den Vorsatz seiner Ausstellung in San Giorgio Maggiore.

Sehr hübsch ist zudem die Wirkung von acht Farbfeldmalereien aus der Serie Landline im langen Gang („manica lunga“, langer Ärmel, genannt) der Officina der Abtei. Aber die stärksten Arbeiten sind in zwei Nebenräumen gehängt, die von der manica lunga abgehen, mittlere und kleinere Farb­flächenmalerei, die ganz auf Monumentalität verzichtet.

Burri [San Giorgio Maggiore, Fondazione Giorgio Cini]*

Alberto Burri, Rosso Plastica M3, Plastica, 1961, Fondazione Palazzo Albizzini, Collezione Burri
Alberto Burri, Rosso Plastica M3, Plastica, 1961, Fondazione Palazzo Albizzini, Collezione Burri.

Gleich nebenan von Scully ist eine kleine Retrospektive auf das Werk des italienischen Arte povera Künstlers Alberto Burri (1915-1995) zu sehen. Zumindest wenn man 2016 die Retrospektive im Düsseldorfer K21 verpasst hat, ist die Ausstellung der Fondazione Giorgio Cini unter dem Titel Burri – la pittura, irriducibile presenza sehr sehenswert, man muss sich aber etwas beeilen [freier Eintritt, bis 28. Juli 2019].

Gut 40 Arbeiten dokumentieren in chronologischer Hängung die gesamte Karriere des Malers, der als Pionier unkonventioneller Materialien und Verfahren in der konkreten, italienische Nachkriegskunst eine zentrale Rolle spielte.

Versammelt sind Arbeiten aus den verschiedenen Werkgruppen, die Burri nach den jeweils verwendeten Materialen benannt hat. Mit dabei sind Beispiele für die berühmten Sacchi (1949-50), die Sackleinen als Material in der Bildkunst einführten, oder für die Plastiche (1960), in denen geschmolzene Plastikfolien die Bildfläche überziehen.

Den Abschluss machen späte und letzte Arbeiten, darunter eine mächtige, aber auch etwas repräsentative Serie Nero e Oro aus den 1990er Jahren mit strukturierten, geometrischen Flächen in Schwarz und Blattgold.

Edmund de Waal – psalm [Museo ebraico / Ateneo Veneto]*

Edmund de Waal, psalm – The Library of exile, 2019. Venedig, Ateneo Veneto. Rechte: Edmund de Waal
Edmund de Waal, psalm – The Library of exile, 2019. Venedig, Ateneo Veneto. Rechte: Edmund de Waal.

Der britische Keramikkünstler Edmund de Waal (*1964) zeigt im Jüdischen Museum im Ghetto Nuovo [Cannaregio] und in der Großen Aula des Ateneo Veneto [San Marco] eine zweiteilige Installation: psalm (2017-19) [kostenpflichtig im Museo ebraico, Eintritt frei im Ateneo Veneto, bis 29. September 2019].

In den Räumen der Synagoge am Hauptplatz des venezianischen Ghettos (gehört heute zum Museo ebraico) weisen faszinierend filigrane Miniatur­skulpturen mit Schriftrollen und Büchern aus feinster Keramik, lichtdurchlässigem Marmor und Goldblatt auf die literarischen Traditionen des Ortes. Und sie erinnern vor allem an die Dichterin Sarah Copia Sullam, die im 17. Jhd. im Ghetto lebte, schrieb und sich gegen Anfeindungen des katholischen Klerus wehrte.

Im Ateneo Veneto, hat de Waal eine Bibliothek des Exils in die Aula Magna gesetzt: Ein weißer Kasten, in dem 2.000 Bücher zum Lesen einladen (die Sitzbänke sind naturgemäß viel zu unbequem, um die Einladung anzunehmen). Es sind Bücher, deren Autoren ins Exil gezwungen wurden – von Ovid bis heute. Seine Keramikobjekte erinnern hier an Daniel Bomberg, den aus Flandern nach Venedig migrierten Verleger, der im 16. Jahrhundert u.a. die erste Gesamtausgabe des Babylonischen Talmud drucken ließ.

An den Außenwänden dieses Raums sind verlorene und ausgelöschte Bibliotheken gelistet und – nunja – das unvermeidliche Heine-Zitat notiert: „dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen“. Gleichviel, de Waals Keramikobjekte machen die leiseste und vielleicht feinsinnigste Kunst, die am Rande dieser Biennale zu sehen ist.

Joan Jonas [Castello, Chiesa di San Lorenzo]*

Joan Jonas, Moving Off the Land II, at Ocean Space, Chiesa di San Lorenzo, 2019. Moving Off the Land II is commissioned by TBA21–Academy and co-produced with Luma Foundation. Copyright: © Photo Enrico Fiorese, TBA21-Academy
Joan Jonas, Moving Off the Land II, at Ocean Space, Chiesa di San Lorenzo, 2019. Moving Off the Land II is commissioned by TBA21–Academy and co-produced with Luma Foundation. Copyright: © Photo Enrico Fiorese, TBA21-Academy.

Die ehemalige, schon 1810 profanierte Kirche San Lorenzo im Zentrum von Castello wird jetzt nach zweijährigen baulichen Maßnahmen als „Ocean Space“ genutzt. Betrieben wird der Ocean Space von der „TBA21-Academy“, einer Thyssen-Bornemisza-Stiftung, die sich der „Förderung eines tieferen Verständnisses des Ozeans durch die Linse der Kunst“ verschrieben hat, so die Selbstdarstellung.

Zur Einweihung stellt Joan Jonas (*1936) ihre vielgestaltig Annäherung an Mythologie und Biologie der Ozeane vor: Moving Off the Land II (2019) [Eintritt frei, bis 29. September 2019].

Mit fünf Videos, ungezählten Zeichnungen, Objekten und einer Klanginstallation erzählt die amerikanische Performance- und Videokünstlerin von Walen, Oktopoden und Meerjungfrauen. Mit sehr viel Sympathie sehe ich, wie die große alte Dame sich inszeniert als die mit dem Fisch tanzt. Joan Jonas bespielte auf der 56. Kunstbiennale Venedig 2015 den Pavillon der USA.