Kulturraum NRW


Der Westen leuchtet im Kunstmuseum Bonn

Von der Heimtücke des Objekts und der Leichtigkeit des Seins

Das Bonner Kunstmuseum hat derzeit den Großteil seiner Fläche freigeräumt für eine sehr hübsche Bestandsaufnahme der rheinischen Gegenwartskunst unter dem Label „Der Westen leuchtet“.

Werke von 33 Künstlern sollen dort noch bis Mitte Oktober belegen, dass das Rheinland nicht nur in den siebziger und achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts eine einzigartige Kunstraumverdichtung hervorgebracht hat, sondern sich als ein Zentrum der Gegenwartskunst auch unter den Bedingungen des Berliner Hauptstadtsogs noch heute behaupten kann.

Zweidrei Generationen rheinischer Kunstmacher sind da also versammelt. Zunächst ein „historischer Kern“: Gerhard Richter, Sigmar Polke, Joseph Beuys, Imi Knoebel und Blinky Palermo. Dann, ausgewählt von den Ausstellungsmachern, vierzehn Künstler und Künstlerpaare der „älteren Generation“ (geboren zwischen 1931 und 1955): die Bechers, die Blumes, Isa Genzken, Jürgen Klauke, Ulrich Rückriem, Thomas Schütte und Rosemarie Trockel sind darunter. Die wiederum haben als „Paten“ vierzehn „Nachwuchskünstler“ ausgewählt (geboren zwischen 1947 und 1982), denen sie zutrauen, das Rheinland auch in diesem Jahrhundert in Sachen Gegenwartskunst nicht gänzlich marginal werden zu lassen.

„Diese Aufteilung der kuratorischen Verantwortung zwischen Künstlern und Kunsthistorikern versteht sich als bewusstes Zeichen gegen das Fantasma des omnipotenten Kurators und als Anerkennung der prioritären Leistung der Künstlerinnen und Künstler“, belehrt ein im Foyer ausliegender Handzettel. Das ist natürlich, öhm, Humbug. Ich wüsste nicht, wer von omnipotenten Kuratoren phantasmasiert: sie machen halt ihren Job, mal besser, mal schlechter. Und die Leistung der Künstler mag man als primär ansehen, prioritär im Kontext einer Ausstellung ist aber eher das Auge des Betrachters. Egal, sei’s drum, wichtig ist auf’m Platz, also schaun wir mal.

Von der Hineingehaltenheit des Daseins

Sehr berührend finde ich Bernd Kastners (*1957, Düsseldorf) Menschenpaare, kaum 30 cm groß sind die, aus Terracotta geformt, teils lasiert, poröse, zerbrechliche, anmutige Gestalten, die sich gemeinsam gegen die Materiehaufen erheben, die sie niederhalten und über die sie hinaus wachsen. Oder jene nofretetegleiche Schöne, deren Büste auf einer überdimensionierten Zwiebel ruht: ihr Schädel ist seitlich aufgebrochen, eine steinern gehirnartige Masse liegt darauf, blaue Lasur rinnt den Scheitel hinab. Das klingt jetzt destruktiver als es ist: ihr Gesicht strahlt Ruhe aus und Selbstgewissheit und Würde.

Sehr lustig ist Anna und Bernhard Blumes (* 1937, Bork/Dortmund) zwölfteilige, schwarzweiße Fotoserie TRANS-SKULPTUR (2009-10). Ein Schriftzug verkündet an der Wand gegenüber eine Wahrheit aus Heideggers Vorlesung „Was ist Metaphysik?“: „Die Hineingehaltenheit des Daseins in das Nichts auf dem Grunde der verborgenen Angst ist das Übersteigen des Seienden im Ganzen: die Transzendenz.“ Wie auch immer, jedenfalls ringen die Blumes diesseits aller Transzendenz mit der Heimtücke des Objekts: weiße Winkel und Kugeln stemmen sie, Objekte, in denen sie sich verfangen, grotesk grimassierend und sich verrenkend. Ich bin da ganz bei ihnen.

Von der Vorgefundenheit des Seins des Seienden: das Man

Marcel Odenbachs (*1953, Köln) monumentale Collage Durchblicke (2007), Einmeterfünfzig hoch, fast fünfzehn Meter lang, erscheint von Weitem als Palmenlandschaft aus tropischem Paradies. Geht man näher, so sieht man, dass die Idylle dieses Wallpapers aus jeweils monochrom kolorierten Fotodokumenten gefügt ist: historische Momentaufnahmen aus Geschichte und Gegenwart des Imperialismus und Kolonialismus.

Durchblicke durchs Man ins Düstere macht auch Gereon Krebber möglich (*1973, Oberhausen). Sein begehbarer Abgebrannter Stall (2010), vierfünfzig Meter lang, vier Meter breit, sechs Meter hoch, das verkohlte Skelett einer prekären Behausung mag das sein, man riecht das Feuer noch. Nebenbei steht eine Tote Quelle (auch 2010).

Und von der Leichtigkeit des Seins

Ganz leicht ums Herz wird es mir dagegen bei Ursula Neugebauers (*1960, Hamm) Installation tour en l’air (1997/98): Sieben rote Ballkleider, die an Rotationsmaschinen aufgeknöpft durch den Raum wirbeln. Das ist von ebensolcher Eleganz wie ihre Miniaturzeichnungen menschlicher Gestalten, die aus Frauenhaaren geformt sind (Figuren, 1998-2009).

Zuletzt: Thomas Arnolds (*1975, Geilenkirchen) zerlegt Interieurs in konstruktivistisch-symbolische Malerei aus klar konturiertem Rot, Gelb und Blau. Man mag das als Einspruch gegen Gereon Krebbers Verfallstudien nehmen oder als Einübung in die Abstraktion von dem, was uns als Behausung umgibt.

Der Katalog zur Ausstellung ist in der Museumsausgabe für sehr vernünftige 30 Euro zu haben. Erstaunlich allerdings die Differenz zwischen abgebildeten und ausgestellten Werken (ich bin ja da sonst nicht kleinlich, aber bei einigen ausgestellten Künstlern ist kein einziges der Werke des Katalogs in der Ausstellung zu sehen – und umgekehrt). Davon ab, sind die Abbildungen ok und die Essays bieten eine sehr instruktive Geschichte des rheinischen Kunstbetriebs.

Der Westen leuchtet. K: Stefan Gronert et al. Bonn, Kunstmuseum Bonn, 10. Juli.-24. Oktober 2010.