Kulturraum NRW


Demokratie in Abendstunden und Kein Licht in Köln

„Wir haben euch was mitgebracht“

Ein Abend mit gleich zwei Uraufführungen ist das. Vor der Pause verhandelt eine zweistündige Collage aus Texten von Beuys, Cage, Goetz und anderen die Demokratie, die Revolution, die Gewalt und natürlich die Kunst im Setting einer Orchesterprobe („Demokratie in Abendstunden“). Nach der Pause folgt der knapp einstündige Versuch, Elfriede Jelineks jüngsten Theatertext, eine Dekonstruktion des Redens über Fukushima, ins Konkrete zu choreographieren („Kein Licht.“).

Eine leergeräumte Fabrikhalle mag das sein, die Bühnenbildner Johannes Schütz da eingerichtet hat, oder auch der Probenkeller eines Mehrzweckzentrums aus den Siebzigern: betonartige Platten an den Wänden, eine Kassettendecke, hinten rechts ein Wasserspender, ein Frühstückspausentisch, eine Verrichtungsbox für Raucher. Der Hausmeister kommt durch die Tür, etwas verwachsen ist der, bringt nach und nach Stuhl um Stuhl auf die Bühne, ein schlurfiger Slapstick (Michael Wittenborn). Dann die Musiker, sie schleppen ihre Instrumente bei, streiten um ihren Platz, giften sich an, niemand will als „Tuttischwein“ (Lina Beckmann) die zweite Reihe machen.

Wenn man es über die Sommerpause vergessen hat, reicht diese Eingangssequenz von, ich weiß nicht, vielleicht zehn, fünfzehn Minuten, um klar zu stellen, warum das Schauspiel Köln in den letzten zweidrei Jahren führend im deutschsprachigen Theater ist: ich sehe anderwärts kaum Inszenierungen, die so präzise rhythmisiert sind und auch bei sehr langsamen Beats und in der Fermate nicht auseinanderfallen.

Desintegration im Keller der Angst

Die Desintegration des Klangkörpers indes eskaliert nach einem Ordnungsversuch des Dirigenten (Wolfgang Pregler) – der sich zuvor mit einer niedlichen Publikumsbeschimpfung über Huster und Handtaschenraschlerinnen einführt.

Die Blechbläser machen sich selbstständig und propagieren eine nihilistische Kunstrevolution, Enkelin des DADA, „Bamba“ benamt. Derweil pochen die Streicher auf die Einhaltung der Ruhezeitenregelung gemäß dem Tarifvertrag für Musiker in Kulturorchestern (TVK), die Bassklarinette klagt über ein Nettogehalt von lumpigen 1800 Euro. Des Jammerns und der Eifersüchte überdrüssig, greift die Harfe (Julia Wieninger) zur Knarre und verschafft sich Gehör. Dass Gewalt eine Lösung ist und warum nicht, klärt ein Streitgespräch zwischen erster (Michael Weber) und zweiter Geige (Kathrin Wehlisch). Irgendwann ist der Dirigent es Leid, entledigt sich des Stabes, der als Schwarzer Peter eiligst weitergereicht wird: Die organisierte Verantwortungslosigkeit eignet in der Moderne ja ganz gleich welcher Form des Gemeinwesens. Und die Revolutionsphantasien des Wutbürgers sind vielleicht – so lässt das Stück vermuten – auch nicht mehr als der Wunsch nach Kindergeburtstag mit viel Farbe, um an die Wände und sich zu schmieren.

Integrativ wirkt da nur kurzzeitig die Musik (Leitung Jörg Gollasch, Gesang Sonia Theodoridou), weitaus mächtiger ist da die Angst: immer wieder pocht es bedrohlich grollend in der Halle und kündigt die Katastrophe an, das Ensemble horcht verschreckt an den Wänden. Das Finale, im Tutti am Bühnenrand skandierte Slogans – vom „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“ und „Venceremos“ der Alten bis zum „Wir haben euch was mitgebracht“ des schwarzen Blocks – ist da wohl auch nur ein Pfeifen im Keller der Angst.

Kein Licht

„Von woher kommt die Gefahr? Aber sicher von außen“, sagen die Stimmen aus dem Dunkel, in dem die Bühne eingangs des zweiten Teils des Abends liegt, naturgemäß, das Stück heißt ja „Kein Licht“. Als es dann Licht wird (der Hausmeister strampelt es mit einem Standrad herbei), ist die Halle längst von einer gewaltigen Lärmwelle überflutet worden, der Boden ist bedeckt mit Schlamm, Spielzeug und Papiere liegen verstreut.

Ein Mädchen (Sachiko Hara) irrt durch die Trümmer, wimmert und weint und ruft auf japanisch nach ihren Vermissten. Die anderen ignorieren sie, so lange bis sie von Photographen als Gegenstand der Gier nach einem Bild der Verzweiflung arrangiert wird.

Die anderen, das sind die Überreste des Orchesters, die in der Verrichtungsbox überlebt haben und jetzt auf der Suche sind nach ihren Klängen. Lina Beckmann und Julia Wieninger spielen ihre tonlosen Geigen und Lina beschwert sich, in ihrer unnachahmlichen trotzig-komischen Empörung: „Warum spielen wir dann überhaupt noch?“.

Über diese Endzeitlandschaft zieht sich die Textfläche, die Elfriede Jelinek recht kurzfristig zu diesem Doppelabend beigesteuert hat und der ihre Methode der Dekonstruktion der Rede durch Kalauer und Hyperhetorisierung an Erdbeben, Tsunami und Fukushima wetzt. Das hat jetzt nicht die Wucht der Inszenierung von „Das Werk“ in der letzten Saison, ist aber grimmiger noch als jene.

Am Ende schickt das Mädchen mit japanischem Auszählreim die Anderen in den Tod, dann das Publikum, dann wieder kein Licht, nirgends.

Bettina Auer, Karin Beier, Rita Thiele: Demokratie in Abendstunden. Eine Kakophonie. / Elfriede Jelinek: Kein Licht. R: Karin Beier. D: Lina Beckmann, Kathrin Wehlisch, Julia Wieninger, Michael Weber, Wolfgang Pregler, Sachiko Hara u. a. UA: Köln, Schauspielhaus, 29. September 2011, 3¼ h m. 1 P.