Kulturraum NRW


David Humes 300. Geburtstag in Edinburgh

Der Schottische Alleszermalmer

Der schottische Philosoph, Historiker und Diplomat David Hume könnte heuer in Edinburgh seinen 300. Geburtstag feiern, wenn er denn nicht tot wäre. Er gilt als der bedeutendste Denker der angelsächsischen Philosophie­geschichte.

Portrait Davis HumeDer „Alleszermalmer“ ist ein Ehrentitel, der in der deutschen Philosophiegeschichte reserviert ist für den Königsberger Großmeister des kriti­schen Denkens: Immanuel Kant. Mit ebensoviel Recht könnte man aber David Hume so nennen oder, wie jüngst die Zeitschrift Philosophy Now sehr hübsch titelt, „Demolition Dave“. Kant selber hat Hume als denjenigen benannt, der ihn aus seinem „dogmatischen Schlummer“ geweckt habe.

Was Hume zermalmt hat – Robert Louis Stevenson (der von der Schatzinsel, wie Hume in Edinburgh geboren) ist sich da sicher: „David Hume zerstörte die Philosophie und den Glauben“. Das geht ein Bisschen zu weit und greift zugleich viel zu kurz. In Wahrheit hat Hume die Philosophie (jedenfalls die Erkenntnis­theorie) nur sehr radikal an ihre Grenze gebracht und den Glauben nur um seine schwärmerische sowie aber- und wundergläubige Dimension bereinigt, aber als pragmatische Voraussetzung des Denkens und Handelns gerade gerettet. Anders: Was nach seinem Zerstörungswerk übrig bleibt, ist die gelassene und heitere Klarheit einer bescheiden gewordenen Vernunft, deren Denken auf Erfahrung und pragmatischen Annahmen beruht.

Berufliches Versagen

Geboren wurde Hume also in Edinburgh, am 26. April 1711 nach dem alten Julianischen Kalender, dem 7. Mai unseres Kalenders. Ein Sohn aus gutem, wenngleich nicht reichem Haus, so schreibt er in seiner Autobiographie. Als Zweitgeborener jedenfalls kann er sich keine Hoffnung auf ein auskömmliches Erbe machen, schmeißt aber trotzdem nach zweieinhalb Jahren das Brotstudium der Juristerei. Auch der wohl nur widerwillig unternommene Versuch, eine kaufmännische Laufbahn (im englischen Bristol) einzuschlagen, scheitert nach kurzer Zeit. Hume kümmert sich fortan zunächst ausschließlich um seine Studien als Privatgelehrter und eben die Philosophie.

Von der Familie, die vom beruflichen Versagen Davids naturgemäß nicht uneingeschränkt begeistert ist, zieht er sich zurück und geht nach Frankreich aufs Land, an die Loire, wo er, keine dreißig Jahre alt, seine Abhandlung über die menschliche Natur (1739/40) schreibt. Deren erkenntnis- und religionskritische sowie ethische Kerngedanken führt er später in der heute berühmteren Untersuchung über den menschlichen Verstand (1748) und einer Reihe von Essays (ab 1741) weiter.

Historiker und Diplomat

Im Rückblick, ein wenig bitter, sagt Hume von seinem Erstling, der Abhandlung, sie sei als Totgeburt aus der Druckerpresse gefallen. Ein durchschlagender Erfolg auf dem Buchmarkt ist sie wirklich nicht. Ruhm, Ehre und ausreichend Geld bringt Hume dann auch später erst sein historisches Monumentalwerk über die Geschichte von Großbritannien (1754ff.) ein.

Zwischendurch steht er in diplomatischen Diensten, u.a. als Botschaftssekretär in Paris, wo er von den französischen Aufklärern begeistert empfangen wird und gesellschaftlich mit seinem aufgeräumt humorvollem Auftritt brilliert – le bon David wird er genannt.

Konflikte in der Heimatstadt

In seiner Heimatstadt ist das nicht immer der Fall. Das Edinburgh der Mitte des 18. Jahrhunderts gilt einerseits als ein Zentrum der europäischen Aufklärung, eine „Brutstätte des Genies“. Einerseits. Andererseits ist die Stadt als Zentrum der schottischen Reformation auch ein Hort des calvinistischen Fundamentalismus und Religionskritikern gegenüber nicht eben freundlich gesonnen.

Als Hume sich 1745 für den Lehrstuhl für Ethik und Pneumatische Philosophie an der Universität Edinburgh bewirbt, scheitert er dann auch am erbitterten Widerstand des akademischen Establishments und vor allem der schottischen Geistlichkeit. In einem Pamphlet wird er als Skeptiker, Atheist, Amoralist angegriffen.

Erhebliche Widerstände gibt es auch als Hume sieben Jahre später (1752) als Bibliothekar am Juristenkolleg Edinburghs angestellt wird, in der seinerzeit größten Bibliothek Schottlands. Das einzige öffentliche Amt, mit dem er je in seiner Heimatstadt versehen wird, bekleidet er immerhin fünf Jahre, allerdings alles andere als konfliktfrei: aus Sicht des Direktoriums bestellt er die falschen, weil unzüchtigen Bücher (darunter La Fontaines Contes et nouvelles en vers). Das Recht, in eigener Verantwortung Bücher für die juristische Bilbliothek zu beschaffen, wird ihm daraufhin entzogen. 1757 legt er sein Amt nieder. Eine kleine Ausstellung in der National Library of Scotland zeigt noch bis Ende Juni 2011 – neben weiteren Autographen und Erstausgaben – Protokolle und Briefe aus dieser Zeit (The virtuous infidel: David Hume 1711-1776).

Instant Karma

Eine Anekdote ist heute jedem Edinburgher Fremdenführer geläufig und illustriert ganz hübsch das Konfliktfeld, in dem Hume unterwegs war: eines Tages stürzt Hume auf dem Nachhauseweg von einem Steg, der über die Marsch führt, die damals noch Alt- und Neustadt von Edinburgh trennt. Aus eigener Kraft kann er sich nicht helfen, ein Sportskanone ist er nun wirklich nicht. Eine zufällig vorbeikommende Fischersfrau verweigert die erbetene Hilfe, er sei doch dieser Hume, der Atheist, dem könne sie nicht helfen, wenn er nicht augenblicklich das Credo und das Vaterunser spreche. Hume fügt sich, wird gerettet und amüsiert sich später darüber, dass die Fischersfrau der scharfsinnigste Theologe gewesen sei, den er je getroffen habe.

Nun, diese Instant-Bekehrung hat nicht vorgehalten. Als er 1776 stirbt, verweigert er geistlichen Beistand. Sein Grab wird von Freunden nächtens bewacht, man befürchtet die Schändung der Grabstätte durch die Christen. Die Bilanz, die Hume für sein Leben zog: „Ich habe keine Feinde – ausgenommen alle Whigs, alle Tories und alle Christen.“

Ein albernes Denkmal

Heute hat die schottische Hauptstadt Frieden mit ihrem bedeutendsten Sohn geschlossen (und er kann sich ja nicht mehr wehren). An den Eingängen zum James’s Court und Riddell’s Close – zwei der ortstypischen Hinterhöfe der Edinburgher Altstadt an der Royal Mile knapp unterhalb der Burg – erinnern Gedenktafeln die Touristen daran, dass hier Hume einmal gewohnt hat.

An der Royal Mile selbst steht seit 1996 eine Statue zu seinem Gedenken. Für 100.000 Pfund hat die, um die schottische Traditionspflege bemühte Saltire Society unter Schirmherrschaft des Duke of Edinburgh – des Prinzgemahls von Queen Elizabeth II. – das Denkmal erstellen lassen und der Stadt geschenkt.

Der Standort ist nicht schlecht gewählt: An der guten Stube Edinburghs, den Rücken kehrt Hume dem Gebäude des Obersten Strafgerichtshofs zu. Links liegen lässt sein Blick die Westfassade der St. Giles‘ Cathedral, der High Kirk of Edinburgh, von wo aus John Knox mit seinen Fundamentalismen im 16. Jahrhundert die schottische Reformation geprägt hat.

David Hume Denkmal in Edinburgh. Foto: jvf.

Das Denkmal selbst ist etwas albern geraten. Die vom notorisch anti-modernistischen schottischen Bildhauer Alexander (Sandy) Stoddart entworfende Bronze zeigt David in klassizistischer Manier mit einer antikisierenden Philosophentoga angetan. Er hält eine unbeschriftete Tafel, die vielleicht für die Offenbarungsreligionen steht, was weiß ich. Seitlich strecken zwei Drachen ihr Haupt aus der Rückenrolle, an die David sich lehnt und rückwärtig ist ein Medusenhaupt zu sehen. So ganz klar will mir das ikonographische Konzept der Statue nicht werden.

Die große Zehe der Weisheit

Stoddart hat einige Kritik für das Denkmal eingefahren, unter anderem wegen der absurd idealisierenden Darstellung, vor allem aber wegen der vorwitzig über die Bronze hinweg gestreckten rechten Zehe. Diese große Zehe der Weisheit dient Studenten der University of Edinburgh als Glücksbringer: berührt man sie, so soll die Weisheit des Meister über einen kommen – und das ausgerechnet bei einem Denkmal für den großen Kritiker des Aberglaubens (ich habe es ausprobiert, Hume hatte Recht, es bringt nichts).

Dass seine Statue – wie viele meinen – keine erkennbare Ähnlichkeit zum Original aufweist, ist vielleicht auch dem Idealisierungsdrang des Bildhauers oder aber der Rücksichtnahme der Auftraggeber geschuldet, die ein realistisches Abbild für nicht tragbar gehalten haben mochten. Immerhin ein Freund(!), James Caulfield, beschreibt die äußere Erscheinung des Meisterdenkers so:

Ich glaube, die Natur hat niemals einen Menschen unähnlicher zu seinem wahren Charakter gestaltet als David Hume […]. Sein Gesicht war breit und fett, sein Mund weit, und ohne einen anderen Ausdruck als den des Schwachsinns, seine Augen leer und geistlos, und die Massigkeit seiner ganzen Erscheinung taugte sehr viel besser, den Eindruck eines Schildkröten essenden Ratsherrn zu vermitteln als den eines gebildeten Philosophen. […] Weisheit hat sich mit ziemlicher Sicherheit noch nie zuvor in solch grobes Gewand gekleidet.

Ich vermute, dass die Bildhauerei selten eine Statue unähnlicher zu dem Charakter des Dargestellten gestaltet hat. Ein Denkmal in Worten für diesen Charakter hat Humes Freund Adam Smith hinterlassen. Der Moralphilosoph und Nationalökonom schreibt über David:

Ich habe ihn stets, zu seinen Lebzeiten wie auch nach seinem Tode, für jemanden gehalten, der so nahe an die Idee eines vollkommenen Weisen und tugendhaften Menschen heran reicht, wie die Schwäche der menschlichen Natur es nur irgend erlauben mag.

Mausoleum auf Calton Hill

David Hume Mausoleum in Edinburgh. Foto: jvf.

Das eigentliche Hume-Monument steht aber auf dem alten Friedhof am südwestlichen Hang des Calton Hills. Da liegt man gut, hat unverstellten Blick nach Westen auf die Altstadt, nach Osten auf die Klippen der Salisbury Crags und im Rücken sind die Denkmäler auf Calton Hill zu sehen. In seinem Testament hat sich Hume diesen Platz ausbedungen und 100 Pfund ausgesetzt, um dort ein Grabmal erstellen zu lassen. Der seinerzeit berühmteste schottische Architekt, Robert Adams, hat den Entwurf übernommen und zwei Jahre nach Humes Tod fertig gestellt: ein klassizistisches Mausoleum, gut fünf Meter hoch, das Smith als zu eitel missfiel, heute aber gerade wegen seiner schlichten Größe beeindruckt.

Ausstellungen in Edinburgh

David Hume. Ausstellungsplakat Writer's Museum, Edinburgh. Rechte: Writer's Museum.Neben der sehr kleinen Ausstellung in der National Library ist noch bis Mitte September im sympathischen und sehr hübschen Writer’s Museum eine kleine, etwa vierzig Exponate umfassende Sammlung von Memorablia, Erstdrucken und Autographen Humes (darunter auch bislang unveröffentlichte Briefe) ausgestellt.

Für den Winter plant die Scottish National Portrait Gallery, die derzeit wegen Sanierungsarbeiten geschlossen ist, mit einer Sonderausstellung zu Hume und Ramsay: Citizens of the World neu zu eröffnen. Die Sammlung hat zwei hübsche Portraits, die Allan Ramsay in den fünfziger und sechziger Jahren von seinem Freund angefertigt hat und die im Zentrum der Ausstellung stehen werden.

Die sehr lesenswerte Hume-Biographie von Gerhard Streminger, die auch eine umfassende Einführung in das Denken Humes darstellt, ist bei C. H. Beck in überarbeiteter und erweiterter Fassung zum Jubiläumsjahr neu erschienen und sei wärmstens empfohlen.