Kulturraum NRW


Videonale 14 – Videokunst im Kunstmuseum Bonn

Jesus und die Kinder des Teufels

Noch bis 7. April 2013 sind im Rahmen der Videonale.14 im Bonner Kunstmuseum 41 Stück zeitgenössischer Videokunst zu sehen: Eine uneingeschränkt sehenswerte Ausstellung. Den von der KfW mit etwas knauserigen 5.000 Euro ausgestatteten Preis der Videonale sammelt Christian Jankowski für seine Arbeit „Casting Jesus“ ein.

Christian Jankowski, Casting Jesus, 2011, 2 channel video, 60 min, Courtesy the artist, Klosterfelde and Lisson Gallery, Photo: Luise Müller-Hofstede
Christian Jankowski, Casting Jesus, 2011, 2 channel video, 60 min, Courtesy the artist, Klosterfelde and Lisson Gallery, Photo: Luise Müller-Hofstede

Seit 1984 gibt es in Bonn die Videonale, eines der traditionsreichsten Festivals der Videokunst. Über 2.100 Arbeiten aus 70 Ländern seien für die 14. Auflage eingereicht worden, so heißt es. Die Jury hat 41 davon ausgewählt für die Ausstellung im Bonner Kunstmuseum. Schaun wir mal.

Jesus

Der Preis der Videonale geht also an den Berliner Konzept- und Videokünstler Christian Jankowski (*1968) für Casting Jesus, 60 min., 2012:

Eine schlichte Halle in Santo Spirito in Sassia zu Rom, im Hintergrund ein vielleicht barockes Gemälde mit Kreuzigungsmotiv. Ein Casting, zwei Projektionen. Auf dem linken Kanal sieht man dreizehn Kandidaten für die Rolle des Jesus. Auf dem rechten die Jury, drei gesetzte Herren: der Untersekretär der Päpstlichen Kommission für das kulturelle Erbe der Kirche, der Sekretär der Kommission für Filmklassifikation der italienischen Bischofskonferenz, ein Kritiker vom vatikanischen L’Osservatore Romano.

Eingangs erläutert ein professoraler Moderator, dieses Casting sei eine sehr ernste Sache, man suche ja nicht nur einen Gott, sondern auch einen Menschen. Dann geht es los, die Kandidaten treten einer nach dem anderen auf, schreiten, gestikulieren gemessen, sprechen salbungsvolle Worte. Dann das Ausschlussverfahren, in drei Kapiteln, erst dreizehn, dann sechs, dann drei Kandidaten. Lackierte Fußnägel, eine zu große Nase, zu wenig Ausdruck oder zu viel Bart, „sieht aus wie eine fette Frau“, nicht „natürlich genug“, das sind die Ausschlusskriterien – es zählt schließlich der Gesamteindruck. Die letzten Kandidaten brechen das Brot, tragen das Kreuz, heilen einen Kranken, leiden am Kreuz und sterben ebenda („mori!“ lautet die Anweisung der Jury).

Ich weiß nicht, ob das die Dokumentation eines realen Castings für eine Mysterienshow o.ä. ist – oder eine für diesen Film inszenierte Sache. Die Jurymitglieder jedenfalls spielen sich selbst. Gleichviel: für den Atheisten ist dieser Film von einer zunächst zwar etwas langsamen, dann aber schreienden Komik.

Übrigens trifft die vatikanische Jury eine Fehlentscheidung, Kandidat Nr. 10 wäre der beste gewesen, aber der Vatikan hat ja noch nie eine glückliche Hand bei der Auswahl seines Personals bewiesen.

Eine kurze Geschichte des Lebens

Gleich nebenan ist ein Stück Videokunst zu sehen, dem ich den Preis der Videonale verliehen hätte (kann noch kommen: es gibt einen Publikumspreis, der am Ende der Ausstellung verliehen wird, Stimmkarten liegen vorort aus): Gerade sechs Minuten braucht die amerikanische Malerin und Videokünstlerin Monica Cook (*1974), um eine kurze Geschichte des Lebens in ebenso berückend schönen wie alptraumhaften Bildern zu erzählen: Volley, 6:06 min., 2011.

Es mag eine archaische oder vielleicht eher postapokalyptische Welt sein, in der zwei haarige, verschwiemelte, primatenartige Kreaturen (oder auch: das, was vom Menschen übrig geblieben sein wird) in und vor ihrer Höhle in einer verschleimten, eisweißen Landschaft leben. Sekretierende Blasen – trübe, durchsichtige, buntfarbene – sind das Nahrungsmittel, Spielzeug, der Schmuck, die Krankheit in dieser Welt. Ein Kind wird geboren, ein wolfsartiges Schmusetier träumt davon, die Gedärme des Paares zu verschlingen. Die neoromantische Musik von Martín Capella macht den Soundtrack dazu. Am Ende pocht das Herz im offenen Leib.

Stätten der Leere

Ganz anders und leider ein wenig zugemüllt vom Sound der benachbarten Videoinstallationen, die stummen, ganz wunderbaren, menschenleeren, weiten Landschaften von Tanja Deman: Abode of Vacancy, 6:55 min., 2011.

Verfremdete, meist gespiegelte Schwarzweiß-Fotographien von architektonischen oder natürlichen Formationen, die die Durchsicht auf collagierte Landschaften gewähren. Sehr schön.

Agitprop und die Geschichte des Ungehorsams

Es gibt viele dokumentarische und explizit politische Arbeiten auf dieser Videonale. Chang-Jin Lee dokumentiert Zeitzeugenberichte von der Zwangsprostitution in Militärbordellen der japanischen Besatzungsarmee im China des 2. Weltkriegs (Comfort Women Wanted, 46:48 min., 2011). Jon Thomson & Alison Craighead erzählen vom Krieg: A Short Film About War, 9:42 min., 2009/10. Am ehesten gefallen hat mir aber die Video-Lecture von Toby Huddlestone (*1980): Video Apathy, 07:24 min., 2010 – eine Art Talking Blues oder Rap über die Geschichte des Ungehorsams und des Widerspruchs seit den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, mit viel Humor schnell geschnitten gegen, zu Ikonen gewordenen zeitgeschichtlichen Photographien sowie Schrifttafeln. Formal nun wirklich nichts neues, ich weiß, aber doch sympathisch:

Everything is OK / Sarcasm, massive / Everything is not OK / Be non-specific / Be non-compliant / Be non-political / Apathy / The a-political, dressed as political / There’re too many things to protest about / So protest about nothing / But still: protest! / Protest something, that cannot be subsumed by the machine / Protest from within the machine / VIVA Apathy / VIVA Apathy / And? / Whatever / Yeah / Maybe / Well … / Dunno / Probably / Oh / Erm …

Das Ende der Familie

Eins noch: Wenn nicht Viva Apathy, dann könnten die bösen, elternmordenden Erzählungen der polnischen Animationskünstlerin Mariola Brillowska (*1961 – „Ich bin Familienexpertin und die zukünftige Präsidentin des Vereinigten Universums“) eine sinnvolle Handlungsanweisung bereit stellen: Des Teufels Kinder, 67 min., 2010.

Katalog

Der Katalog zur Ausstellung ist nur einigermaßen in Ordnung, wird aber für 34,90 Euro von zwei DVDs begleitet, die Dreiviertel der ausgestellten Videokunst beinhalten (Spielzeit zusammen 11½ h) – und das ist ganz großartig.

Videonale.14 Festival For Contemporary Video Art. Bonn, Kunstmuseum. 15. Februar – 7. April 2013.