Kulturraum NRW


Roman Senkls ‚Solange es ein Ziel gibt‘ in Koblenz

„Fragmente / Nichts“

In den Kammerspielen des Theater Koblenz inszeniert Indendant Markus Dietze die Uraufführung von Roman Senkls Szenenpuzzle Solange es ein Ziel gibt und macht daraus eine vorwiegend kurzweilige Montage von Wortwechseln auf dem Gemeinplatz.

Wenn ich richtig mitgezählt habe, sind das zwölf Szenen, die der 1984 in Graz geborene Jungspund Senkl da mitgebracht und während seiner Zeit als Hausautor am Theater Koblenz in der Saison 2010/11 mit dem Ensemble ausgearbeitet hat: „einige davon sehr frühe, die anderenfalls in dieser Form nie mehr die Bühne erblickt hätten“, sagt er.

Eine Hysterikerin hat ebenso viele Vorbehalte gegen den wie Sehnsüchte nach dem Einmalfick; eine Mutter gibt ihrem Sohn die Schuld am Tod dessen Bruders; ein Institutsleiter belästigt eine Nachwuchswissenschaftlerin mit Grabschereien und den Phrasen seiner Erfolgsideologie („Solange es ein Ziel gibt, gibt es keine Grenze des Unerreichbaren“); „the fucking president of the fucking United fucking States“ hält eine Rede; jemand erzählt von einer Beziehungskiste. Letztere reden gleichzeitig, man versteht nicht viel, es kommt wohl nicht drauf an. Vier Stimmen reden von der Sehnsucht des Astronauten auf Außenmission im Erdschatten, sich ins Nichts fallen zu lassen; eine Suizidale („das Schicksal hasst mich“) redet von ihren gescheiterten Versuchen der Selbsttötung: „Haben Sie schonmal versucht, sich vom Blitz erschlagen zu lassen?“, fragt sie und hat sich vor den Zug gelegt, der zweihundert Meter vor ihr entgleist.

Es wird also viel geredet in diesen Fragmenten, vor sich hin, aneinander vorbei, man hört das wie gezappt oder zufällig mitgekriegt. „Fragmente / Nichts“ ist der erste Akt des Stücks gelabelt.

Im Regionalexpess

Auf dem Weg nach Koblenz im Regionalexpress höre ich das Mädchen telefonieren, sie erzählt einer Freundin, sie habe jetzt endlich gekündigt, nein, sie möge ihren Chef ja, aber das ginge nicht mehr, nein, sie wolle nicht erzählen von der neuen Stelle, man müsse jetzt gucken, wann sie da anfangen könne, der Vertrag sei noch nicht unterschrieben, bis dahin wolle sie darüber nicht sprechen, aber die Freundin werde es dann als erste erfahren, sie wisse ja auch nicht, ob sie in Bonn bleibe, sie gebe Murat noch ein Jahr, dann sei man entweder verlobt oder es sei vorbei, nein, er habe es ja schon gesagt, aber er wolle nur in der Moschee heiraten, nein, die Eltern seien ja dagegen, aber sie müsse wissen, ja, sie würde ihn ja schon lieben, aber am Ende gehe es doch darum, dass da jemand bei einem sei, egal was da kommt, sie wisse nicht, sie seien ja jetzt schon drei Jahre zusammen. Ein junger Schönling mit offenem Hemd und rasierter, jedenfalls unbehaarter Brust streitet mit seiner Freundin, die geht aufs Klo und kommt zurück, sie trägt den Geruch der RE-Toilette mit sich, der Schönling spricht gerne laut, telefoniert laut, stellt sicher, dass er gehört wird, er werde ein Taxi nehmen, dann könne man sich besser besaufen, wie heiße das nochmal, nein, das mit dem Jägermeister, nein, das andere, worüber der Schönling und seine Freundin streiten, raffe ich nicht, es kommt wohl auch nicht drauf an, sie werden sich bald trennen. Zum Glück telefoniert das Mädchen jetzt wieder, mit einem Bekannten, nein, bei der hätte er keine Chancen, das könne er vergessen, er sei da an letzter Stelle, und heute Abend, nein, sie sei bei ihren Eltern, es werde gegrillt, ja vor anderthalb Monaten schon habe sie gekündigt, ihre Kollegin sei ja rausgeschmissen worden, das sei krass, wegen der SMS, das sei ihr sehr unangenehm, sie stünde da immer so dazwischen, nein, überhaupt nicht, sie möge ihren Chef ja, aber der mache jetzt natürlich immer so komische Anspielungen, das nerve schon sehr, jedenfalls freue sie sich jetzt darauf, etwas anderes zu machen, genug von ihrem Beruf habe sie, endlich raus aus dem Friseursalon, nein, heute Abend nicht, sie sei ja bei ihren Eltern, später könne er ja dann raus, da könne er, sie könne jetzt nicht richtig reden, Popos gucken, nein, sie sei jetzt immer erst um neun oder so zu Hause, nein, von der Arbeit, nicht einmal zum Lernen komme sie mehr, sie wisse auch nicht mit dem Führerschein, sie sage mal jetzt, er müsse sich halt neue Freunde suchen, sie wisse ja auch nicht, ob sie in Bonn bleibe.

B-Roadmovie

Zwei Schauspieler synchronisieren eine eher zweifelhafte Gangsterroadmovieschmonzette über „Bennie und Claude“, während ein Filmvorführer das Gesicht der Leinwandheldin und den Rücken einer Besucherin als Wichsvorlage nimmt (wir sind in Koblenz, keine Sorge, nur verbal) und einen wirklich sehr lustigen, manischen Monolog über das pornographische Begehren hält. „Jahr der Ratte“ heißt der zweite Akt.

Im Regionalexpress

Die Rückfahrt von Koblenz im Regionalexpress ist eher unergiebig, eine Seniorengruppe kommt vom Weinfest zurück und kichert, macht Witze, kichert, eigentlich kichern nur die Frauen, die Männer hört man nicht, sie stehen beim Ausgang, es gibt nicht genug Sitzplätze, drei Jugendliche sind auf dem Weg nach Köln und sprechen über den Jägermeister, jemand raucht, die Seniorengruppe unterhält sich, ob das Rauchen hier erlaubt sei, nein, auch in öffentlichen Gebäuden sei das ja nicht mehr erlaubt, nein, auch im Zug gar nicht mehr, aber manche Leute können sich halt an gar nichts halten, sagen sie. Eine Frau will am Südbahnhof aussteigen und schlägt ihren viel zu schweren Koffer einer Seniorin vor die Knie. Ich bin müde.

Nora lächelt

Drei weitere Szenen: Die Geschichte von Nora und Paul, Sätze, die man so sagt in einer Beziehung und wenn man sich trennt, auf einer Zugfahrt – die ambitionierteste und langatmigste Szene des Abends; eine Familientherapiesitzung, eine junge Frau schreit die Mutter an; vier Stimmen erzählen von einer neusachlichen Romanze, in der man die Beziehung kündigt, ohne weitere Begründung, erst dann, wenn man einen Plan hat, wie man zur Not den anderen zurück kriegen kann. „Nora lächelt“ ist die letzte Szenenfolge betitelt.

Freundlicher Applaus

Die Figuren, die sich da die Rede teilen, wissen vielleicht nicht, dass ihre Sätze vorgefunden sind, im Kino, in Nachmittagstalkshows oder im Leben der Anderen, das dann auch nicht jenseits der Gemeinplätze spielt. Das Ensemble zieht daraus sehr komische Auftritte, allen voran David Prosenc als manischer Filmvorführer und Isabel Mascarenhas als Hysterikerin, Suizidale, Nora, Therapieopfer u.v.m. Man kann sich dabei sehr gut unterhalten fühlen oder man fährt eben mit dem Regionalexpress. Das Koblenzer Premierenpublikum jedenfalls applaudiert dem ganzen Team sehr freundlich, auch dem sympathisch linkischen, auf die Bühne gezerrten Autor, der etwas verlegen seinen Tom Waits-Hut in den Händen wringt.

Roman Senkl: Solange es ein Ziel gibt. R: Markus Dietze. D: Isabel Mascarenhas, Raphaela Crossey, Sami El Gharbi, Felix Meyer, David Prosenc. Koblenz, Kammerspiele, UA: 3. September 2011. 1¾ h o. P.