Kulturraum NRW


De l’Allemagne / Über Deutschland – Ausstellung im Pariser Louvre

Le Stube troublé

Noch bis 24. Juni 2013 zeigt das Musée du Louvre in Paris unter dem Label „De l'Allemagne, 1800-1939. De Friedrich à Beckmann“ rund 200 Werke deutscher Malerei, Zeichnung, Photographie und Filmkunst vom Klassizismus bis zur Neuen Sachlichkeit. Das deutsche Feuilleton nimmt derweil übel.

Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, Goethe in der Campagna, 1787. Foto: Martin Kraft. Lizenz: PD-Art. Quelle: Wikimedia Commons.
Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: Goethe in der Campagna, 1787. Foto: Martin Kraft. Lizenz: PD-Art. Quelle: Wikimedia Commons.

Im deutschen Feuilleton gibt es, so lese ich im Nachhinein, Aufregung um diese Ausstellung. Sie zeige deutsche Kunst als „grünstichige Herrenkunst am Rande eines Sonderwegs ins Verderben“, beschwert sich Niklas Maak in der FAZ. Gleich einen „kulturpolitischen Skandal“ macht Adam Soboczynski in der ZEIT aus. Mitarbeiter des Deutschen Zentrums für Kunstgeschichte in Paris, das mit dem Louvre die Ausstellung konzipiert hat, distanzieren sich von Teilen der Schau – seltsamerweise erst nach der Eröffnung. Was ist da los?

DFF

Julius Schnorr von Carolsfeld (1794-1872): Die Verkündigung, 1820. Lizenz: PD-Art.Julius Schnorr von Carolsfeld (1794-1872): Die Verkündigung, 1820.Heuer jährt sich zum fünfzigsten Mal die Unterzeichnung und Ratifizierung des Élysée-Vertrages, des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages, der 1963, nach einigen Welt- und sonstigen Kriegen, das von Chauvinisten als „Erbfeindschaft“ gefasste Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich auf eine freundschaftlichere Basis stellen sollte. Das hat, im historischen Vergleich und im Rahmen der europäischen Integration, auch ausnehmend gut funktioniert. Ich lasse jetzt mal die derzeitigen Irritationen wg. der Merkelschen Politik in Sachen Krise des Kapitals, die nur Vulgärkapitalisten als Staatsschuldenkrise begreifen können, beiseite – da kann man sich als verständiger Mensch eigentlich nur auf Seiten der sozialdemokratischen Regierung Frankreichs einfinden.

Gleichviel, der Erfolg der deutsch-französischen Aussöhnung nach dem 2. Weltkrieg und nach dem Élysée-Vertrag war zu Recht Grund genug für Merkhollandel ein Deutsch-Französisches Jahr auszurufen (September 2012 – Juli 2013, für ein ganzes Jahr fehlte offenbar die Zeit). Und das wiederum gab den Rückenwind für den Louvre und das Centre allemand d’histoire de l’art in Paris gemeinsam an dieser Überblickschau zur Kunst im Deutschland des 19. und frühen 20. Jahrhunderts zu arbeiten. Frau Merkel und Herr Hollande machen die Schirmherr- und frauschaft, Kulturstaatsminister Neumann, Kulturministerin Filippetti und Noch-Premierminister Ayrault haben die Eröffnung übernommen. Eine recht staatsgetragene Sache also.

Madame de Staëls Deutschland

Gottlieb Schick (1776-1812): Apoll unter den Hirten, 1806-1808. Lizenz: PD-Art.Gottlieb Schick (1776-1812): Apoll unter den Hirten, 1806-1808.Es gibt indes ein noch wichtigeres und auch titelgebendes Jubiläum. Vor zweihundert Jahren, 1813, veröffentlichte die französische Schriftstellerin Madame de Staël im Londoner Exil ihre Bestandsaufnahme der Sitten und der Kultur im Deutschland der Romantik: De l’Allemagne. Eigentlich war das Buch bereits 1810 in einer beachtlichen Auflage von 10.000 Exemplaren gedruckt worden, aber die Zensur ließ das – für die Zeit der Napoleonischen Kriege – allzu deutschfreundliche Werk konfiszieren und die gesamte Auflage vernichten. Nunmehr aber, ab Mitte der 1810er Jahre, konnte das voluminöse, dreibändige Vermittlungswerk für die Franzosen zur „königlichen Zufahrtsstraße zu deutschem Wesen, Denken und Dichten“ (André Monchoux) werden oder – von der anderen Rheinseite aus gesehen:

Jenes Werk über Deutschland […] ist als ein mächtiges Rüstzeug anzusehen, das in die Chinesische Mauer antiquierter Vorurteile, die uns von Frankreich trennte, sogleich eine breite Lücke durchbrach, so daß man über dem Rhein und in Gefolg dessen über dem Kanal endlich von uns nähere Kenntnis nahm […] (Goethe, Tag- und Jahreshefte).

Mit der Chinesischen Mauer und den Vorurteilen ist das so eine Sache, die halten ziemlich lang. Vom „Nachbar, der uns so nah und doch so fremd ist“ spricht Henri Loyrette, der président-directeur des Louvre. Der Blick über diese Mauer, die der Louvre da wirft, ist aber etwas kurzsichtig und reicht nur bis ins Jahr 1939 – und das könnte ein Problem sein (der Frankfurter Erbsenzähler Maak mäkelt, dass es in der Schau kein einziges Werk aus dem Jahr 1939 habe, sondern nur aus 1938, gewiss, das ist ganz schlimm, und einige Fotos von August Sander sind sogar aus den 40er Jahren). Schauen wir mal.

Anselm Kiefer und Wolfgang Goethe

Als düster-raunendes Präludium hat Anselm Kiefer den Ein- und Ausgangsbereich der Ausstellung mit zehn großformatigen (fast vier Meter hoch, drei Meter breit), collagierten Holzschnitten versehen, die eine Art Privatmythologie des Rheins formulieren (De l’Allemagne, 1982-2013). Schwarze senkrechte Strukturen im Vordergrund der Collagen mögen einen, durch Wälder verstellten Blick auf den Fluss vorstellen, oder den, durch einen Grenzzaun gebrochenen Blick auf den Anderen symbolisieren, was weiß ich.

Sodann ist aus Frankfurt Tischbeins Goethe in der Campagna zu Gast und hat den ersten, kleinen Raum der Ausstellung ganz für sich. Goethe dient als Schutzheiliger des roten Fadens durch die Ausstellung, was aber nur etwa Zweidrittel weit funktioniert. Ihm gegenüber ist an der Wand ein kurzes mission statement zu lesen: In drei Abschnitten gelte es, die Themen zu entfalten, die das ästhetischen Denken und das künstlerische Schaffen der „Kulturnation“ in der Phase der Selbstfindung geprägt haben: Das Verhältnis zur Vergangenheit (Antike und Mittelalter unter dem Paradigma des Apollinischen und Dionysischen), die Frage nach der Natur als nationalem Thema und das Problem des Menschen nach der Katastrophe des 1. Weltkriegs.

Edle Einfalt, dionysische Größe

Franz von Stuck (1863-1928): Der Kampf ums Weib, 1905. Lizenz: PD-Art.Franz von Stuck (1863-1928): Der Kampf ums Weib, 1905.Die erste Sektion zeigt Werke des deutschen Klassizismus (Gottlieb Schick, Leo von Klenze), die die „edle Einfalt und stille Größe“ der Winckelmannschen Antike als Maßstab der ästhetischen Erneuerung nahmen. Die Malerei der Nazarener (Franz Pforr, Friedrich Overbeck, Peter von Cornelius, Ludwig Schnorr von Carolsfeld) steht für die romantische Aufhebung des Klassizismus im Geist einer christlich-patriotischen Kunst. Beispiele symbolistischer Malerei (Franz von Stuck, Arnold Böcklin, Hans von Marées) werden als dionysischer Gegenpol zum apollinischen Ideal der Klassik vorgestellt.

Aus der Rheinprovinz, aus dem Kölner Stadtmuseum, ist Carl Hasenpflugs Idealansicht des Kölner Doms (1834-1836) angereist und wird von Johann Anton Ramboux΄ aquarellierten Zeichnungen der Kathedrale ergänzt (1844/46).

Die Wissenschaft der Natur und ideologisierte Landschaften

Caspar David Friedrich (1774-1840): Der Watzmann, 1824-25. Lizenz: PD-Art.Caspar David Friedrich (1774-1840): Der Watzmann, 1824-25.Die zweite Sektion stellt den mannigfaltigen Zugriff auf die Natur und die Landschaft in der deutschen Kunst dar. Den Auftakt macht wiederum Goethe, von dem die Klassik Stiftung Weimar Teile seiner mineralogischen Sammlung, Planzenzeichnungen und aquarellierte Tafeln seiner Farbenlehre bereit gestellt hat. Ansonsten ist diese Sektion ein Schaulaufen Caspar David Friedrichs, von dem sich insgesamt 19 Gemälde im Louvre eingefunden haben (drei davon aus St. Petersburg, sieht man auch nicht jeden Tag) und dessen Landschaften als Ausweis patriotisch aufgeladener, mythologisierender Naturauffassung genommen wird.

Satisfaktionsfähig sind den Ausstellungsmachern ansonsten, neben Carl Gustav Carus und Philipp Otto Runge, noch die Naturstudien Paul Klees, dessen wunderbarer Blick in die Ebene (1932) aus Düsseldorf angereist ist.

Ecce Homo

Adolph Menzel: Eisenwalzwerk (1872-1875). Lizenz: PD-Art.
Adolph Menzel: Eisenwalzwerk (1872-1875).

Adolph Menzels Eisenwalzwerk (1872-1875) und einige Zeichnungen des Meisters des deutschen Realismus machen die Brücke zur letzten Sektion, die den Menschen, vornehmlich den leidenden Menschen, als Gegenstand der deutschen Kunst nach der Zäsur des 1. Weltkriegs fokussiert.

Lovis Corinth (1858-1925): Ecce homo, 1925Lovis Corinth (1858-1925): Ecce homo, 1925.Holzschnitte von Käthe Kollwitz, Lithographien von Max Beckmann, Zeichnungen von Otto Dix, je zwei Gemälde von Christian Schad und George Grozs und das titelgebende Ecce Homo von Lovis Corinth prägen diesen Abschnitt. Kurze Schleifen aus Fritz Langs Metropolis und Walther Ruttmanns Berlin – Symphonie einer Großstadt (beide 1927) stehen für die expressionistische Filmkunst, Leni Riefenstahls Olympia ist in kurzen Ausschnitten zu sehen und ihre Herrenmenschen-Ästhetik wird durch einen Auszug aus dem neusachlichen Meisterwerk Menschen am Sonntag von Siadmak, Ulmer und Wilder widerlegt (1930). Letzteres ergänzt August Sander um seine photographischen Portraits von Alltagsmenschen aus den 20er bis 40er Jahren, von der Kölner Photographischen Sammlung bereit gestellt.

Den Abschluss macht wiederum Max Beckmann mit seiner ungeheuer beeindruckenden, 1938 gemalten Vision der menschengemachten, entmenschlichten Graumsamkeit: Die Hölle der Vögel (Ms. Odradek hat ein Foto).

Le stube

Unweit des Louvre, in der Rue de Richelieu, findet man das deutsch-französische joint venture Le stube. In dem Edel-Imbiss gibt es Currywurst und Frankfurter, Kartoffelsalat und Sauerkraut, Warsteiner und Erdinger. Nach einer Currywurst und einzweidrei Bier sind vielleicht auch die Kritiker aus Hamburg und Frankfurt von etwas gelassenerer Stimmung. Goethe wiederum kolportiert über den Besuch der Staël in Weimar, er habe von ihr oft den Vorwurf vernommen, er sei ihr zu maussade (übellaunig, griesgrämig): „Überhaupt mag ich Goethe nicht, wenn er nicht eine Bouteille Champagner getrunken hat“.

Natürlich kann man übellaunig kritisieren, dass es in De l’Allemagne außer Käthe Kollwitz keine Künstlerinnen hat, natürlich fehlen Macke, Marc, Pechstein, Kirchner, Liebermann, Albers, Höch und Taeuber, Arp und Schwitters u.v.m. – aber ist letzteres in einer Überblicksschau, die zudem zu Recht auf die Vertiefung von Schlüsselthemen setzt, zu vermeiden? Und eine „teleologische Konstruktion“, die die deutsche Kunst als „schon immer auf Katastrophe und Krieg programmiert“ zeige, kann ich bei bösestem Willen in dieser Ausstellung nicht ausmachen. Und dass Kurztexte an Ausstellungswänden eine gerüttelt Maß an Komplexitätsreduktion betreiben müssen, um eine solche Schau mit einer auch Laien aus dem Stand nachvollziehbaren Struktur zu versehen – geschenkt. Das zu einem Ausweis von Störungen im deutsch-französischen Verhältnis aufzublasen, ist schon etwas seltsam.

Vielleicht gelingt es, 2023 im Pompidou eine Ausstellung zur Kunst in Deutschland zwischen 1963 und 2023 einzurichten, das wäre dem Élysée-Vertragsjubiläum ja auch angemessen.

Der Katalog

Der Katalog zur Ausstellung hat 432 Seiten, wiegt auf meiner Haushaltswaage rund 2 kg, gibt es leider nur in französischer Sprache, kostet frankreichtypisch sehr viel, nämlich 45 Euro, ist aber sein Geld wert. Er enthält taugliche Abbildungen der Exponate (Friedrichs Watzmann ist seltsamerweise seitenverkehrt wieder gegeben) und eine Reihe sehr umsichtiger Essays.

De l’Allemagne, 1800-1939. De Friedrich à Beckmann. K: Sébastien Allard, Danièle Cohn, Johannes Grave. Paris: Musée du Louvre, 28. März – 24. Juni 2013.