Kulturraum NRW


Das Kapital und die Krise – Biennale Venedig 2013

Im russischen Pavillon regnet es Goldtaler, im griechischen Haus wird das allgemeine Äquivalent und die Symbolproduktion kurzgeschlossen und die Katalanen dokumentieren das Leben von Arbeitslosen im Spanien der Krise.

Die Krise des Kapitals und ihre Folgen spielen in den Länderpavillons eine überraschend randständige Rolle, aber es gibt Ausnahmen.

Der russische Goldregen

Wadim Sacharow. Danaё, Russischer Pavillon, Venedig, 2013, Installationsansicht. Foto: Wadim Sacharow. Rechte: Wadim Sacharow, Kulturministerium der Russischen Föderation, Stella Art FoundationWadim Sacharow. Danaё, Russischer Pavillon, Venedig, 2013, Installationsansicht. Foto: Wadim Sacharow. Rechte: Wadim Sacharow, Kulturministerium der Russischen Föderation, Stella Art Foundation.

Der russische Pavillon (RU), kuratiert von Udo Kittelmann – Direktor der Berliner Nationalgalerie, der erste nichtrussische künstlerische Leiter des russischen Auftritts auf der Biennale und bereits 2001 für die Arbeit am deutschen Pavillon mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet, war früher Direktor am mmk in Frankfurt, wo heuer Susanne Gaensheimer tätig ist, die den deutschen Pavillon in 2011 und 2013 verantwortet hat, die Welt des Kunst­betriebs ist sehr klein – der russische Pavillon also zeigt eine Installation von Wadim Sacharow.

Wadim Sacharow. Danaё, Russischer Pavillon, Venedig, 2013, Installationsansicht. Foto: Wadim Sacharow. Rechte: Wadim Sacharow, Kulturministerium der Russischen Föderation, Stella Art FoundationWadim Sacharow. Danaё, Russischer Pavillon, Venedig, 2013, Installationsansicht. Foto: Wadim Sacharow. Rechte: Wadim Sacharow, Kulturministerium der Russischen Föderation, Stella Art Foundation.Wadim Sacharow (*1959 im tadschikischen Duschanbe, lebt in Moskau und Berlin) lässt in seiner Performance­installation Danaё über eine Förderrampe Goldtaler auf weibliche Besucherinnen regnen, während männliche Besucherinnen zur Andacht auf Gebetsbänken niederknien dürfen, während ein Herrenreiter in seinem Sattel und auf einem Querbalken Erdnüsse schnaggelt und Peanutschalen zu Boden fallen lässt. An den Wänden belehren Auf­schriften:

Meine Herren, die Zeit ist gekommen, dass wir eingestehen unsere Grobheit, Begierde, unseren Narzissmus, unsere Demagogie, Falschheit, Banalität und unsere Gier, den Zynismus, den Raub, unsere Ahnungslosigkeit, Ver­schwen­dung, die Verführung, den Neid und die Dummheit.

Gut gebrüllt, Löwe. Vor und auf dem russischen Pavillon sind drei Parabol­antennen montiert: Vermutlich empfangen wir unseren, mit Gier schwängernden Goldregen nunmehr via Satellit. Für den Herrenreiter sind im Übrigen für die Dauer der Ausstellung 50kg Erdnüsse vorgesehen, ich hoffe, dass der noch schlanke, junge Kollege Auswechselspieler hat.

Die griechische Stunde Null

Um etliche Gran subtiler ist der Beitrag der europäischen Sündenböcke und Opferlämmer in Sachen öffentlicher Finanzen. Im griechischen Pavillon (GR) zeigt Stefanos Tsivopoulos (* 1973 in Prag, lebt in Amsterdam) eine dreiteilige Videoinstallation: History Zero.

Stefanos Tsivopoulos, History Zero, video still, 2013. Courtesy: the artist, Kalfayan Galleries, Prometeogallery di Ida PisaniStefanos Tsivopoulos, History Zero, video still, 2013. Courtesy: the artist, Kalfayan Galleries, Prometeogallery di Ida Pisani.

Jeweils 11 Minuten lang sehen wir in den drei Räumen einen afrikanischen Immigranten, der in den Straßen von Athen nach auswertbarem Elektroschrott sucht und dabei zu Origamisträußen gefaltetes Geld in einer Tonne findet; einen Künstler, der auf der Suche nach einer Projektidee in Sachen Kunst und Ökonomie ist, einen Einkaufswagen voll Elektroschrott findet und als Installationsobjekt monetarisiert; eine alzheimerkranke Kunstsammlerin, die Objekte auch eben dieses Künstlers kauft und Origami-Blumensträuße aus Euroscheinen faltet, die sie, wenn sie verwelkt sind, in den Müll schmeißt.

Stefanos Tsivopoulos, History Zero, video still, 2013. Courtesy: the artist, Kalfayan Galleries, Prometeogallery di Ida PisaniStefanos Tsivopoulos, History Zero, video still, 2013. Courtesy: the artist, Kalfayan Galleries, Prometeogallery di Ida Pisani.

Der ausgesprochen sehenswert inszenierte Reigen, der das allgemeine Äquivalent und die Symbolproduktion kurzschließt und ironisiert, wird aus- und eingeleitet von einem Archiv von Exponaten zu alternativen Währungen und Tauschsystemen.

Die katalanischen 25%

In einer Werfthalle auf San Pietro, ein paar Schritte vom Ausgang des Arsenale entfernt, lässt 25%. Catalonia at Venice (1) die zu Wort kommen, denen die Krise übers Genick gefahren ist. Francesc Torres (* 1948 in Barcelona, lebt ebd.) und die Dokumentar­filmerin Mercedes Álvarez (* 1966 in Aldealseñor, lebt in Barcelona) dokumentieren das Leben von acht arbeitslosen Menschen: Mit 25% wird die Arbeitslosenquote für Katalonien angegeben.

25%. Catalonia at Venice. Gesamtansicht der Installation in der Cantieri Navale ©La Caixeta fotografia25%. Catalonia at Venice. Gesamtansicht der Installation in der Cantieri Navale ©La Caixeta fotografia.

Torres hat die acht Einzelfälle jeweils ein bis zwei Wochen begleitet, dokumentiert ihren Alltag in einer Fotoserie und hat jeweils ein Großportrait gemacht, Álvarez ergänzt das um drei bis fünf minütige filmische Portraits. Ein Objekt aus dem Haushalt, das den Teilnehmern besonders am Herzen liegt, und ein von ihnen ausgesuchtes Kunstwerk aus dem Barcelona Museum für Gegenwartskunst (MACBA) steht anbei.

Da ist zum Beispiel Alejandro Roldán, 60 Jahre alt, Metaller, Gewerkschafter. Nach einem Arbeitsunfall vor vier Jahren ist er berufsunfähig, anerkannt wurde das allerdings nicht, also gilt er als arbeitslos. Seine persönliche Habe kann er in einer Kiste verpacken, für den Fall, dass seine Wohnung zwangsgeräumt wird. Er engagiert sich in einem Netzwerk von Opfern der Hypothekenkrise. Sein persönlicher Gegenstand ist der alte Rasierapparat seines Vaters. Als Kunstwerk hat er sich Jorge Oteizas konkrete Skulptur Portrait eines Soldaten namens Odysseus ausgesucht.

25%. Catalonia at Venice. Alejandro Roldán, Metallarbeiter und Gewerkschaftler, und 'Retrato de un gudari llamado Odiseo' von Jorge Oteiza ©La Caixeta fotografia25%. Catalonia at Venice. Alejandro Roldán, Metallarbeiter und Gewerkschaftler, und ‚Retrato de un gudari llamado Odiseo‘ von Jorge Oteiza ©La Caixeta fotografia.

Oder da ist Gessamí Sánchez Ollé, 33 Jahre alt, Doktor der Biochemie, nach Promotion und vier Jahre Arbeit in den Laboratorien der Universität Barcelona und weiteren Jahren in der Krebsforschung ist sie jetzt arbeitslos. Angeboten werden ihr Praktika: kein Geld, keine Sozialversicherung. Die Forschungsgelder in Spanien der Krise werden weggestrichen. Sie fürchtet, auswandern zu müssen, Schweden vielleicht oder die USA. Als persönlichen Gegenstand hat sie ein Kissen ausgewählt, als Kunstwerk ein Objekt des Kölner Konzeptkünstlers Hans Haacke: Condensation Cube.

25%. Catalonia at Venice. Gessamí Sánchez, Biochemikerin. Im Vordergrund Condensation Cube von Hans Haacke ©La Caixeta fotografia25%. Catalonia at Venice. Gessamí Sánchez, Biochemikerin. Im Vordergrund Condensation Cube von Hans Haacke ©La Caixeta fotografia.

Auf der Website des ausrichtenden katalanischen Kulturinstituts (Institut Ramon Llull) gibt’s umfangreiche Informationen zu der Ausstellung.